Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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Ob zwei, oder mehrere, oder unendlich viele Glieder ın der 
disjunktiven Norm einander gleichgestellt werden, macht für eine 
Betrachtung der menschlichen Denkoperationen keinen wesent- 
lichen Unterschied aus. Wohl aber besteht ein für unser Denken 
nicht zu umgehender prinzipieller Gegensatz zwischen der Ein- 
gliedrigkeit des kategorischen und der Mehrgliedrigkeit des dis- 
junktiven Befehles. Die kategorische Norm stellt an das Subjekt 
S die Anforderung, alles das und nichts anderes zu tun, als was 
zur Verwirklichung des Prädikates erforderlich ist. Hier gibt es 
für denjenigen, welcher sich der Autorität der Norm beugt, keine 
Wahl bei der Beobachtung seines gesetzlichen Verhaltens. Nur 
was von der Norm nicht getroffen und darum nach jeder Rich- 
tung rechtlich irrelevant, weder normgemäß noch normwidrig ist, 
bleibt seinem Belieben überlassen (z. B. rechtlich gleichgültige 
Nebenumstände). Die disjunktive Norm dagegen räumt dem Sub- 
jekt S eine Wahl zwischen mehreren Alternativen ein, die als 
vom Standpunkt der normsetzenden Autorität vollkommen gleich- 
wertig hingestellt werden. Jede der mehreren gestatteten Arten 
des Verhaltens ist normgemäß, von der normsetzenden Autorität 
gewollt, und trotzdem ist es rechtlich irrelevant und bleibt dem 
Belieben des Subjektes überlassen, welchen der mehreren freige- 
gebenen Wege es einschlagen will. Ueberdies ist auch hier, 
wie bei der kategorischen Norm, alles von der Norm nicht Ge- 
troffene und darum nach allen Richtungen hin rechtlich Irrele- 
vante dem Belieben des Subjektes anheimgestellt. 
Die Unterscheidung zwischen kategorischen und disjunktiven 
Normen hängt daher aufs innigste mit jener zwischen rechtlich 
Relevantem und rechtlich Irrelevantem zusammen. Die katego- 
rische Norm gewährt keine Freiheit. Frei läßt diese Norm nur 
dasjenige, was sie nicht regelt, also das Gebiet des rechtlich Ir- 
relevanten, der „rechtsfreien“ Sphäre. Gäbe es nur kategorische 
Normen, so wäre der Satz richtig, daß die Freiheit im Rechts- 
sinne gleichbedeutend sei mit der Freiheit von Rechtsnormen.
	        
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