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(oder gesetzmäßigen Vertrag usw.) gewährte Freiheit von der
Freiheit des rechtlich Ungeregelten und daher nach jeder Rich-
tung Irrelevanten. Der Stellvertreter, welcher unter bestimmten
Voraussetzungen bevollmächtigt, aber nicht verpflichtet ist, die
Ware seines Mandanten zu veräußern, die Behörde, welche unter
bestimmten Voraussetzungen ermächtigt, aber nicht verpflichtet
ist, eine Eisenbahnkonzession zu erteilen, repräsentieren in ganz
gleicher Weise den Vertretenen, beziehungsweise den Staat, ob
sie von ihrer Vollmacht einen positiven oder einen negativen Ge-
brauch machen — solange sie nicht anderweitige Normen, zum
Beispiel solche des Strafgesetzes, verletzen. Man kann hier ge-
wıß von einer „Freiheit“ des Stellvertreters oder behördlichen
Organs bei der Setzung des Rechtsaktes sprechen, und doch ist
diese Freiheit wesentlich verschieden von der Freiheit, etwa wäh-
rend der BRechtshandlung eine blaue oder eine rote Krawatte zu
tragen. Auch in dem Augenblick, in welchem der Minister oder
sonst nach dem jeweiligen positiven Recht zur Konzessionsertei-
lung Kompetente die Konzessionsurkunde unterzeichnet, trägt er
seine blaue oder rote Krawatte doch nur als Privatmann. Erst
wo anderweitige Normen einsetzen, zum Beispiel solche, die ein
Amtskleid vorschreiben, hört das rechtlich Irrelevante und damit,
soweit nicht disjunktive Rechtssätze vorliegen, auch die rechtliche
„Freiheit“ auf.
Ich muß es mir aus dem oben angeführten Grunde auch an
dieser Stelle versagen, das Gesagte systematisch weiter auszu-
bauen und mich mit einem kurzen Hinweis auf jene Rechtssätze
begnügen, welche den für das moderne öffentliche Recht wichtig-
sten Anwendungsfall der disjunktiven Norm bilden. Es sind jene,
welche einem öffentlichen Organ ein sogenanntes freies Ermessen
(pouvoir disceretionnaire) einräumen. Grundsätzlich wäre es denk-
bar, daß den öffentlichen Organen ihre Aufgaben durch lauter
kategorische Normen vorgezeichnet sind. Dies war wohl schwer-
lich jemals verwirklicht, die Form des disjunktiven Norm erweist