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wahl, über „gebundenes“ und „freies Ermessen“ und über die
Möglichkeit, dem freien Ermessen durch Beschränkung der zu-
lässigen Zwecke Schranken zu ziehen, schöpfen. Es handelt
siehum verschiedene logische Formen, um den
Gegensatz der kategorischen und der disjunktiven Form bei der
Schaffung beziehungsweise Interpretation von Rechtssätzen und
um Kombinationen beider Formen in einem und demselben Rechts-
satz. Ich habe in meinen zitierten Arbeiten, vielleicht nicht
glücklich im Ausdruck, zu dem mich eine Terminologie OTTO
MAYERs verleitete, von „natürlichen“ Rechtssätzen gesprochen.
Ich dachte an die „natürliche“ Begabung aller Menschen, nach
gleichen logischen Gesetzen zu denken, und daher selbst an ganz
verschiedene Rechtsstoffe immer wieder mit denselben Begriffen
heranzutreten, um so mehr aber bei gleichen oder ähnlichen Ver-
fassungen, gleichen oder ähnlichen Behördenorganisationen usw.
zu gleichen oder ähnlichen Ergebnissen über die meist nicht
näher geregelten von mir behandelten Fragen zu gelangen. Wie
sehr sich nun auch einige Kritiker bemüht haben, meinen Stand-
punkt als „naturrechtlich“* oder „naiv“ hinzustellen, sie können
doch an der Tatsache nichts ändern, daß das Recht nicht nur
aus den gegebenen „positiven“ Befehlen der rechtssetzenden Auto-
rität geschöpft wird, sondern auch aus dem Verstand aller jener
Menschen, an welche sich diese Befehle richten. Wenn mir erst
neuestens wieder ein Rezensent (BÜHLER im Archiv für Rechts-
und Wirtschaftsphilosophie, VIII, 1914 S. 148) vorwirft, ich lasse
den Leser im unklaren, für welche Rechte meine Aufstellungen
gelten sollen, so kommt mir seine Einwendung geradeso vor, als
wenn er einen Mathematiker fragen wollte, für welche Länder
dessen Lehrsätze gelten. Ein anderer junger Autor (VERDROSS
in der Oesterr. Zeitschrift für öffentliches Recht, I, 1914,S. 622),
hält mir vor, ein Staatsorgan könne keine Ermächtigung aus der
Natur der Sache oder aus natürlichen Rechtsgrundsätzen, sondern
nur aus der Rechtsordnung ableiten, denn eine andere als eine