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derung des Volks hinsichtlich der politischen Berechtigung im weitesten
Sinne. (Man denke nur an GNEISTs Schrift über „Die nationale Rechtsidee
von den Ständen und das preußische Dreiklassenwahlsystem“ 1894.) Das
entspricht auch tatsächlich der politischen Auffassung gerade der Zeit,
von der InGELMANN handelt. Man vergleiche nur die mystische Vor-
stellung von der Bedeutung der bestehenden politischen Machtverhältnisse
bei L. v. HALLER und das geradezu eine staatsrechtliche Prädestinations-
lehre enthaltende Werk von Car. F. ScHLoOSSeER „Ständische Verfassung,
ihr Begriff, ihre Bedingung“ 1817 („Die Kraft kann nur in dem wohnen, der
sie besitzt, die Einsicht nur in dem, der für sie gebildet ist“), wo der Vor-
zug der älteren Verfassung lediglich in der Tatsache des Bestehens einer
ständischen Gliederung gesehen wird.
Auf die Einzelheiten der reichen Ergebnisse dieses zweiten Teiles der
Arbeit INGELMANNs einzugehen, ist hier leider nicht der Platz, denn es ist
nichts von ihnen uninteressant und bedeutungslos, sei es das vollständige
Weiterleben altständischer Einrichtungen (z. B. bedingte Huldigung in Wald-
eck; die vielfach begegnenden Landräte und Syndici; der klare Dualismus in
der Finanzgewalt in Sachsen-Hildburghausen, wo auch die ausdrückliche Be-
tonung der Pflichten der Landstände charakteristisch für deren Auffassung
als Rechtssubjekt ist), sei es ihre Vermischung mit modern-konstitutionellen
Einrichtungen, die besonders stark in Bayern ins Auge fällt.
Wichtige Einzelfragen bleiben freilich noch ununtersucht, vor allem
denke ich da an die Frage: wie verhält sich die Freiheits- und Eigentums-
klausel, die sich auch in den altständisch gefärbten Verfassungen findet,
zu den Grundgedanken der altständischen Verfassung? Ist sie willkürlich
in jene hineingeworfen, oder fanden sich vielleicht doch im älteren Staats-
recht wenigstens Anknüpfungspunkte für sie?
Außer manchen Einzelfragen bleibt aber auch diejenige Frage ungelöst,
die m. E. die wichtigste ist: welches ist denn nun eigentlich die Bedeutung
dieser landständischen Elemente in der Entwicklungsgeschichte des deut-
schen Verfassungsrechts? Sind sie rein zufällig in die Verfassungen des
19. Jahrhunderts mit übernommen worden, weil man noch kein Verständnis
für den wesentlichen Gegensatz zwischen altständisch und modern-repräsen-
tativ hatte, oder hatte man dieses und hat gerade deshalb altständische
Elemente erhalten? Wenn aber letzteres der Fall war, welches war die
Absicht dabei? Diese Frage führt uns notwendig auf W.S.A. art.57. Tatsäch-
lich wird sie ohne Untersuchung dieses Artikels und seiner Wirkungen (der
unmittelbaren oder mittelbaren) für die spätere Entwicklung des einzelstaat-
lichen Verfassungsrechts nicht zu lösen sein. (Vgl. zu diesem Artikel H. O.
MEISNER „Das monarchische Prinzip 1913, S. 160—214.) Denn, daß auch in den
nach 1819 entstandenen Verfassungen Elemente des ständischen Staatsrechts
viel bedeutsamer sind, als bisher allgemein angenommen wurde, ist m. E. nicht
zu bezweifeln; für Braunschweig hat die Darstellung von RHAMM dies aus-