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führlich dargetan; als Elemente des ständischen Staatsrechts im weiteren
Sinne wären aber m. E. neben den ständischen Reminiszenzen in der
Bildung und Zusammensetzung der Volksvertretungen auch andere Reste
des älteren Staatsrechts mit heranzuziehen, wie z. B. für Hessen ich sie an
dieser Stelle (Bd. 33 S. 314) aufzuzeigen versucht habe. Dabei käme es aber
immer vor allem auf die Gründe der Beibehaltung jener Elemente des
älteren Staatsrechts an. Diese sind jedoch nicht zu ermitteln, ohne daß
man genauer — in Ermangelung der ja meist nicht zur Verfügung stehen-
den Motive — auf die allgemeinen politischen und staatsrechtlichen Ideen
der Zeit eingeht. Es bedarf also einer gründlichen, prinzipiellen Berück-
sichtigung des zeitgenössischen Schrifttums. Ihre Unterlassung (übrigens
auch z. T. eine Folge der die Arbeit einem Historiker überlassenden Ver-
säumnis der Staatsrechtslehre) bedeutet die wichtigste Lücke in der For-
schung des Verfassers. Denn sie würde nicht nur zur Klärung der Gründe
für die Hinübernahme der ständischen Elemente, über die mangels positiver
Feststellung jede Kombination müßig ist, wesentlich beigetragen sondern
vermutlich auch für die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts das Vor-
handensein einer allgemeinen staatsrechtlichen und politischen Auffassung
vom Wesen der Landstände gezeigt haben, die für jene Uebernahme einen
günstigen Boden bildete und daher sie vielleicht z. T. mit erklären kann:
eine Auffassung, die nicht, wie die spätere, das Wesen des Ständischen in
dem Gegensatz zum Modern-Repräsentativen sah, sondern in derZweckgemein-
schaft beider als Beschränkungen der Herrschergewalt in der Monarchie
durch eine Beteiligung des Volkes an den wichtigsten Regierungshandlungen.
Man denke nur daran, was z. B. noch in den vierziger Jahren UNGER in
der Einleitung seiner Geschichte der Landstände „Von dem Rubme ge-
mischter oder gemäßigter Verfassungen“ sagt, oder an die Verherrlichung,
die ein Vertreter des klassischen deutschen Liberalismus, wie UHLAND,
dem „guten alten Recht“ hat zuteil werden lassen. Daß vielleicht bei
dieser, die Gegensätze zwischen der ständischen und konstitutionellen Ver-
fassung nach unserer juristischen Anschauung unterschätzenden, Auffassung
die Geistesrichtung der Romantik einen Einfluß gehabt hat, wäre für die
Tatsache ihres Vorhandenseins gleichgültig, für ihre.Erklärung und die
Geschichte des staatsrechtlichen Denkens sehr interessant.
Ganz allgemein wäre endlich von Bedeutung, daß die zuletzt erwähnte
Auffassung, gleichgültig ob sie in jener Zeit, wie ich vermute, geherrscht
hat oder nicht, sehr viel Richtiges hat und heute zu unrecht ganz in den
Hintergrund tritt. Dies Zurücktreten ist vielleicht auch nur historisch zu
erklären dadurch, daß in den meisten deutschen Staaten die Entwicklung
entweder nicht unmittelbar von der ständischen Verfassung oder nur
von ihrer Entartung zur konstitutionellen führte Denn es läßt sich
doch nicht leugnen, daß beide Verfassungen nur in dem Angelpunkt
(Dualismus — einheitliche Staatsgewalt) prinzipiell anseinandergehen,