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sie geltend gemacht werden könnten, und wiederum die Bedenken, die
gegen diese Bedenken bestehen. Es ist ein äußerst gewissenhaftes, grund-
ehrliches Werk, das wie wenige neuere strafrechtliche Werke zum Nach-
prüfen des Bestehenden und Aufsuchen von Neuem anregt.
Diesen großen Vorzügen steht der Nachteil gegenüber, daß sich aus
der Menge des Gebotenen die Ansichten des Verfassers nicht zu einem
genügend deutlichen und geschlossenen Bilde hervorheben. Der Leser
muß dieses Bild erst mit einem Aufwand an Zeit und Mühe gewinnen, der
ihm hätte erspart werden können. BAUMGARTEN bekämpft mit dankens-
werter Schärfe einen bei theoretischen Erörterungen oft begangenen Fehler:
das ungenügende Eindenken in die Gedankengänge und die Ausdrucks-
weise anderer. Bei der Menge des Lesestofles aber, dessen Bewältigung
unser heutiger wissenschaftlicher Betrieb von dem einzelnen verlangt,
steht dieser Forderung die nicht minder gebieterische Pflicht des Schrift-
stellers gegenüber, seinen Lesern das geforderte Eindenken durch die Art
seiner Darstellung nach Kräften zu erleichtern.
Das Buch stellt sich als Hauptaufgabe eine systematische. Es soll ein
formeller Verbrechensbegriff gefunden werden, mittels dessen das allen
Verbrechen Gemeinsame übersichtlich dargestellt werden kann. Diesem
Zweck dient nach BAUMGARTEN am besten folgender Verbrechensbegriff:
„Verbrechen ist eines zurechnungsfähigen Menschen Willensakt, der
sich vorsätzlich auf einen Tatbestand richtet, diesen Tatbestand verwirk-
licht und unter den erforderlichen objektiven Voraussetzungen der Straf-
barkeit erfolgt.“
Dabei ist Tatbestand die Summe der Verbrechensmerkmale, auf die
sich der Vorsatz bezieht.
Auf dem Wege zu diesem Ziele gibt BAUMGARTEN bei der Festlegung
des Gegenstandes der Strafrechtswissenschaft eine eigenartige Bestimmung
des’Strafrechtsverhältnisses und setzt sich über eine große Zahl strafrecht-
licher Grundfragen mit dem Schrifttum auseinander.
Der erste Abschnitt der Schrift behandelt das Strafrechtsverhältnis als
Gegenstand der Lehre vom materiellen Strafrecht, der zweite begrenzt den
Stoff der Quellenlehre, der dritte bespricht Inhalt und Aufbau der Lehre
von den Voraussetzungen der Entstehung des Strafrechtsverhältnisses, der
vierte endlich entwickelt zunächst die Verbrechensformel in eigener Dar-
stellung, sodann befestigend und verteidigend gegenüber den Anschauungen
anderer Schriftsteller.
Aus dem ersten Abschnitt sei, als für das öffentliche Recht im allge-
meinen interessierend, folgendes hervorgehoben:
Das Strafrecht ist ein in seiner Eigenart durch den Vergeltungsge-
danken bestimmtes Rechtsschutzrecht. (Dabei dürfen dem Rechtsschutz-
recht nicht mit GoLDSOHMIDT die Vorschriften gegenübergestellt werden,
durch welche die einzelnen angehalten werden sollen, die das Wohl der
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIV. 1/2. 14