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Problem ein ganz besonderes Interesse. Denn die Herrschergewalten, die
einer Verfassung entbehren, sind regelmäßig diejenigen, welche in einem
anormalen Verlauf der Ereignisse an die Stelle einer früheren Herrscher-
gewalt getreten sind, mögen sie nun das vorangegangene Regime gestürzt
oder eine Vakanz ausgefüllt haben. Solche Gewalten sind aber durch die
Umstände gezwungen, sich mit dem Problem der Legitimität auseinander-
zusetzen und einen Titel ihres Rechtes aufzustellen, Sie können nicht, wie
mit Verfassung begabte und daher gewöhnlich seit längerer Zeit bestehende
Gewalten das Problem meiden und sich auf die Heiligkeit des Hergebrachten
berufen. Die Frage der Legimität ist bei ihnen sehr aktuell 2.
Die Arbeit zerfällt nun in zwei große Teile. Der erste behandelt die
Geschichte der Doktrinen über die Legitimität der Herrschergewalt vom
Mittelalter bis auf den heutigen Tag. Das letzte Kapitel enthält die Theo-
rien von SAINT SIMON, AUGUSTE COMTE, SAVIGNY, BLUNTSCHLI, JHERING,
PROUDHON, TAINE, COURCELLE-SENEUIL, dE VAREILLES-SOMMIERES, DUGUIT
und berichtet auch über die Auffassungen der Päpste des 19. Jahrhunderts.
Der zweite Teil verfolgt die politischen Umwälzungen, die in Frankreich
von 1789 bis 1871 stattgefunden haben und prüft eine jede neue Regierung
daraufhin, ob sie faktischer Natur ist und auf welchen Titel sie in solchem
Falle ihre Legitimität gründet.
Die historische Untersuchung über die Doktrinen bringt folgendes Er-
gebnis: Es gibt eine erste Kategorie von Systemen, welche die Legitimität
der Herrschaft aus der Souveränität des Volkes herleiten und diese Souverä-
nität ihrerseits auf das natürliche Recht der Freiheit gründen. Es gibt eine
„weite Kategorie von Systemen, welche die Herrschaft aus der Notwendig-
keit des staatlichen Lebens rechtfertigen. Und endlich eine dritte Kate-
gorie, welche Gedanken der ersten und der zweiten Art miteinander ver-
bindet.
Es ist mir nicht möglich, in dem Rahmen, der zur Verfügung steht,
nur annähernd den Inhalt der reichhaltigen und überaus interessanten
Studien von GAUDU wiederzugeben. Ich glaube, ich werde den Charakter
seiner wissenschaftlichen Arbeit am besten kennzeichnen, wenn ich einige
® So wenigstens verstehe und ergänze ich den Verfasser. „le gou-
vernement de fait nait dans des circonstances telles que l’on peut discuter
ses droits non seulement dans les rapports entre gouvernants et gouvernes,
mais encore dans ses rapports avec le gouvernement precedent. Si le
gouvernement de fait est ce qu’il est, si aucune loi ne le r&glemente, c’est
qu'il a renverse un autre gouvernement ou du moins s’est substitue & lui
en dehors des voies reguliöres et pr&vues, le cas etant tr&s exceptionnel
d’un gouvernement qui, n& sans le concours de son predecesseur, possede
une constitution toute pr&te & fonctionner d&s le premier instant de son
existence,*