Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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zu deren Anhängern auch der Verfasser gehört!, zu ergänzen resp. teil- 
weise zu korrigieren. 
Vorweg muß dem Autor die Richtigkeit seines Ausgangspunktes zuge- 
standen werden. Bei seiner Konstruktion des Völkerrechtes handelt es sich 
ihm nämlich darum, dasselbe einerseits als wirkliches „Recht“ im formalen 
Sinne begreifen zu können, andererseits aber die Souveränität (d. h. Selb- 
ständigkeit) der einzelnen innerstaatlichen Rechtsordnungen zu wahren. 
Auf den ersten Blick scheint dies eine unmögliche Aufgabe zu sein. Ge- 
wiß ist auch, daß sie die bisherige Theorie des Völkerrechtes nur unter 
Preisgabe rechtslogisch notwendiger Prinzipien zu lösen versucht hat. Denn 
sie arbeitet, wie VERDROSS richtig hervorhebt, entweder bewußt oder un- 
bewußt mit einer doppelten Sollebene — d.h. mit einer selbstän- 
digen innerstaatlichen Rechtsordnung und einer äußeren Völkerrechtsord- 
nung, denen sie den Staat gleichzeitig rechtlich unterworfen sein läßt, 
obwohl dies mit Rücksicht darauf, daß beide Rechtsordnungen — wie übri- 
gens jede Mehrzahl von selbständigen Normensystemen — gegebenenfalls 
inhaltlich in Widerspruch sein können, d. h. dem Staate entgegengesetzte 
Pflichten auferlegen können (S. 336), rechtslogisch unmöglich ist, geradeso 
wie es unmöglich ist, sich den Menschen von einem einheitlichen 
normativen Beobachtungsstandpunkte gleichzeitig zwei verschiedenen 
Normsystemen — etwa dem moralischen und rechtlichen — unterworfen zu 
denken. „Denn für jedes Normsystem gilt der Satz des Dekaloges: Du 
sollst keinen Gott haben außer mir*?. 
Für die positivistische Rechtsbetrachtung gilt nun der weiter nicht be- 
weisbare Satz, daß nur diejenigen und zugleich alle diejenigen Normen als 
Rechtsnormen zu betrachten sind, als deren Träger resp. Erzeuger der 
Staat auf Grund einer in dessen Verfassung enthaltenen Zurechnungsregel 
anzusehen ist. Beweisbar ist dieser Satz deshalb nicht, weil es sich um 
eine terminologische Frage, d.h. um die Benennung einzelner Normen- 
systeme handelt. Denn ich kann selbstverständlich nicht beweisen, warum 
ich gewisse Normen Moralnormen, andere religiöse, und wieder an- 
dere rechtliche nenne. Ich muß aber, wenn ich mich auf den norma- 
tiven Standpunkt versetze und von ihm aus Normen erkennen will, unbe- 
dingt diesen Standpunkt präzisieren, d. h. ihn einheitlich machen, m. a. W. 
jenes Kriterium feststellen, wodurch der Ausdruck eines Sollens zum Ge- 
genstand meiner speziellen d. h. juristischen, moralischen, religiösen usw. 
Erkenntnis d.h. zu einer Norm wird. Denn nur auf diese Weise wird eine 
Mehrzahl von Normen zu einem einheitlichen, widerspruchslosen Norm- 
ı Vgl. z. B. meinen Aufsatz: „Ueber zwei Hauptpunkte der KELSEN- 
schen Staatsrechtslehre* in Grünhuts Zeitschrift XL. Bd. 
2 Vgl. VkRDROSS in der Oesterr. Zeitschrift für öffentliches Recht, I. Bd. 
S. 233.
	        
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