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punkt ohne Beweis zu fixieren, erlischt aber auch nicht innerhalb be-
stehender einheitlicher Rechtsordnungen, d. h. selbständiger Staatsrechte.
Eine Verschiebung bis zur möglichen äußersten Grenze bedeutet es daher
nur, wenn man den Staat als Träger des Rechtes d. h. seine Normen
als Rechtsnormen ansieht, denen gegenüber alles andere, gegebenenfalls
in Normenform Erscheinende nur „Tatsache“ oder „Tatbestand“ ist. Man
kann aber nun auch seinen Ausgangspunkt von dieser äußersten Grenze
verschieben und dadurch die Möglichkeit einer isolierten normativen Be-
trachtung jener Tatsachen gewinnen, wodurch dieselben zu selbständig
geltenden Normen werden. So kann ich ein Vereinsstatut oder einen Pacht
vertrag isoliert betrachten, d. h. alles in ihm Enthaltene ohne weiteres als
geltend annehmen. Halte ich dabei gleichzeitig an dem Begriffe einer ein-
heitlichen staatlichen Rechtsordnung fest, so zerfällt mir dieselbe in eine
Menge von selbständig erscheinenden Normenkomplexen; ihre Selb-
ständigkeit ist dadurch bedingt, daß ich — vermöge der Heterogeneität des
Rechts — für sie selbständige Träger (Erzeuger) konstruieren muß. Bei
einer solchen ideellen Zerlegung der Rechtsordnung in selbständige Normen-
komplexe erscheinen daher auch andere Faktoren als der Staat in dessen
Doppelrolle: als Träger der Normen und als eine denselben unterworfene
Person (Zurechnungspunkt). Im Vertrage z. B. werden die ihn schließen-
den Kontrahenten einerseits als „Normsubjekte“ (nicht im Sinne der KEL-
senschen Rechtslehre, der darunter Pflichtsubjekte versteht), andererseits
als Zurechnungspunkte, d. h. als Personen, die den Vertragsnormen unter-
worfen sind, resp. sich ihnen selbst unterworfen haben, erscheinen. Das-
selbe gilt, wenn als Kontrahenten Staaten auftreten. Die faktische Viel-
heit derselben geht dabei allerdings, soweit sie als Normsubjekte betrachtet
werden, notwendigerweise verloren. Durch eine solche isolierte Betrachtung
geht aber des weiteren noch die Möglichkeit verloren, die einzelnen Nor-
menkomplexe untereinander in irgendeine normative Verbindung zu setzen,
m. & W. sie als zusammengehörige Teile eines größeren Ganzen aufzu-
fassen. Das einigende Band kann hier nur durch eine Verschiebung des
erwähnten Ausgangspunktes zu seiner Grenze hin gefunden werden, d.h.
durch eine souveräne, über denselben stehende Rechtsordnung, vermöge
deren sie erst normative Geltungskraft erhalten. Mit diesem Momente aber
werden sie selbst wieder zu bloßen „Tatbeständen‘. Franz Weyr.,
Anzeigen.
Sammlung von Entscheidungen des Reichsversiche-
rungsamts, desLandesversicherungsamtes und der
Oberversicherungsämter. Herausgeber: Breithaupt. Berlin-
Wilmersdorf 1912/13, Heft 12. Neue Verlagsanstalt G. m.b.H.
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