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dieser Anschauung bisher keine befriedigende Antwort auf die
weitere Frage, ob denn jene im Geist erschaute allgemeine Wissen-
schaft von der Gesellschaft nur eine synthetische Prinzipienlehre
der Einzelwissenschaften, ein allgemeiner Teil der konkreten Ge-
sellschaftswissenschaften ist, oder ob sie einen eigenen Gegenstand
hat. Auch zeigten die bisherigen Versuche, den Problemen der
neuen Wissenschaft praktisch näher zu kommen, in ihrer Methode
ein gar buntscheckiges Bild. Da gibt es eine biologisch-organische
Methode, deren Vater AUGUSTE COMTE war, und die in Deutsch-
land namentlich von SCHÄFFLE gepflegt wurde. Da gibt es weiter
eine rassentheoretische Richtung, die mit der Zauberformel der
vererblichen Rassenanlage die Welt und ihr menschliches Geschehen
erklären möchte. GOBINEAU, HOUSTON STEWART CHANBERLAIN,
WOLTMANN sind ihre bekanntesten Vertreter. Da gibt es ferner
eine psychologische Methode, den deutschen Juristen nahegerückt
durch des Staatsmannes G. RÜMELIN Kanzlerrede „Ueber den Be-
griff der Gesellschaft“ (zuletzt Tübingen 1907). Da gibt es end-
lich — um aus dem vielen nur noch eines herauszugreifen — eine
rationalistische Richtung, vertreten — jeweils in besonderer Eigen-
art — durch STAMMLER, OTHMAR SPANN und andere.
Man kann es begreifen und entschuldigen, wenn dieser Fülle
der Gesichte gegenüber mancher Jurist den Eindruck einer gewissen
Unklarheit empfing und vorläufig von der Soziologie nichts wissen
will. Ist ihm doch dieses Schlagwort noch obendrein dadurch un-
sympathisch geworden, daß es neuerdings in enger Verbindung
mit der „Freirechtslehre*“ auftrat.
Und dennoch: Auch die Soziologie vermag, bei unparteiischer
Prüfung ihrer Legimationspapiere, über Name, Art und Inhalt sich
so gut auszuweisen, daß selbst der begriffsstrengste Jurist ihr den
Einlaß in die Privatrechtswissenschaft nicht länger verwehren sollte,
ja daß ihr die Tore des öffentlichen Rechts schon jetzt weit offen
stehen. Wenn der gärende Most sich noch nicht zum reinen Wein
der Erkenntnis abgeklärt hat, so berechtigt das keineswegs dazu,