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durch die Papyrologie. In der Dogmatik herrscht dagegen noch
heute der Methodenkampf.
Freilich sind die Schwächen der altüberlieferten Hermeneutik
so offensichtlich und so oft dargelegt, daß diese in der Theorie
kaum noch uneingeschränkte Verteidigung findet. Aber in der
Praxis der Rechtsprechung folgt man ihr doch noch vielfach un-
bewußt bis in ihre Irrtümer hinein. Anderseits ist es noch immer
nicht Gemeingut soziologischer Erkenntnis geworden, daß zwischen
den gesellschaftlichen Lebenstatsachen und der Norm des Gesetzes
als verbindendes Glied der Zweck und die Wirkung des Gesetzes
stehen, gleichwie zwischen rechtsgeschäftlicher Erklärung und
vesellschaftlichem Leben der Interessenzweck der Partei als ver-
bindendes Glied steht. KANTOROWICZ kritisiert demgemäß die
formalistische Subsumtionstheorie der alten Hermeneutik und
will sie ersetzen durch eine Rechtsprechung nach dem Zweck des
Gesetzes. Also sei Zweckforschung ein soziologisches Lebensbe-
dürfnis für die Rechtsprechung (Il, 281).
Ueberblickt man heute, nach reichlich vier Jahren, KANTO-
ROWICZ Gedankengänge, so darf man wohl feststellen, daß wir
inzwischen in der Erkenntnis und in der Formulierung weiterge-
konımen sind. Klärend wirkten vor allem — wenn ich von mei-
ner Abhandlung im Archiv für die Zivil. Praxis Bd. 110 S. 219 ff.
absehe — EHRLICHs Grundlegung der Soziologie des Rechts (1913)
und HECKs Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz (1914).
KANTOROWICZ’ Vortrag beschränkt sich im wesentlichen noch da-
rauf, Umrisse und Andeutungen zu geben, die von Unklarheiten,
ja von offenbaren Irrtümern nicht ganz frei sind, und die noch
manche einschlägige Frage unbeantwortet lassen. Auch ist für
seine Redeweise noch derselbe Kampfeston kennzeichnend, der
seine flammende Agitationsschrift von 1906 (GNAEUS FLAVIUS,
der Kampf um die Rechtswissenschaft) berühmt gemacht hat.
Man darf ihm daraus m. E. keinen Vorwurf machen. In einer
Uebergangszeit, in der das Neue heftig befehdet oder kühl abgelehnt