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Wenn V (Voraussetzung), so F (Folge)
A ist ein V
für A gilt F
Tatsächlich aber handelt es sich hierbei, das ist heute bereits
Gemeingut der Erkenntnis, nicht um ein mit absoluter Zielsicher-
heit wirkendes Schlußverfahren. In die geistige Tätigkeit des
Begreifens und des Schließens mischt sich vielmehr ein Wert-
urteil und eine Willensentscheidung des Richters. Dieses Wert-
urteil und diese Willensentscheidung hat zum Inhalt eine zwei-
fache Abwägung streitender Interessen gegen-
einander, eine abstrakte und eine konkrete ®. Schon bei der Fest-
stellung des Obersatzes: Wenn V, so F, kommt es zu einer
richterlichen Interessenwägung in abstracto in Gestalt der Ge-
setzesauslegung. Denn jener Obersatz besagt nichts anderes als:
Wenn die soziale Interessenlage V gegeben ist, so soll die nor-
mative Interessenwägung F eintreten, und welchen Inhaltes V
und F sind, darüber gibt das Gesetz dem Richter in der großen
Mehrheit der Fälle keine eindeutig sichere Aufklärung, es stellt
ihn statt dessen vor die Aufgabe, seinerseits die Zweifel der
Mehrdeutigkeit zu lösen durch Auslegung. Der Schwerpunkt
dieser richterlichen Interessenwägung durch Auslegung des Gesetzes
kann in der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandes liegen (V),
wenn nämlich der Inhalt der Norm (F) von vornherein feststeht,
er kann anderseits in der Auslegung der inhaltlich zweifelhaften
Norm (F) liegen, wenn nämlich der gesetzliche Tatbestand von
vornherein feststeht, er kann sich endlich auf beides zugleich
verteilen, wenn nämlich sowohl der Tatbestand wie die Norm in-
haltlich zweifelhaft sind. Schreitet nun im Anschluß hieran der
Richter zur Bildung des Untersatzes: A ist ein V, so besagt das:
Er vergleicht das Typische der konkreten Interessenlage des Pro-
zeßfalles mit den typischen Interessenlagen der verschiedenen ge-
setzlichen Tatbestände und findet es, auswählend, kongruent mit
° Vgl. hierzu Archiv f. d. ziv. Praxis 110 S. 282f.