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ein individuell bestimmtes wollendes Subjekt zu erklären unter-
nahm. Auch SAVIGNYs Hermeneutik unterlag dem gleichen irrigen
Begriffsrealismus, wenn sie dem „Grunde des Gesetzes“ eine „ob-
jektive, aus dem Denken des Gesetzgebers heraustretende Natur“
zuwies !. „Zwecke des Gesetzes“ sind, darüber kann seit KANT
kein Zweifel obwalten, allemal Bewußtseinsinhalte, Vorstellungen
eines als erstrebenswert empfundenen Zieles, zu dessen Erreichung
die Gesetzesvorschrift als ein geeignetes Mittel gedacht wird,
Zwecke des Gesetzes sind also nicht denkbar ohne die Be-
ziehung auf ein Subjekt, das diesen Bewußtseinsinhalt
hat. Dieses Subjekt kann der Gesetzgeber sein, richtiger: die am
Gesetzgebungsakt beteiligt gewesenen Menschen, oder auch eine
damals vorhanden gewesene sozial verbundene Gruppe von Men-
schen, etwa: die damals führende Kulturschicht des Volkes, und
dann ist es dieses historische Zweckbewußtsein, das dem Richter
das für seine Normfindung nötige Werturteil liefert. Oder aber
das Subjekt der maßgeblichen Zweckvorstellungen ist anderswo
zu suchen, vielleicht im Richter selber, dessen eigenes Zweckbe-
wußtsein entscheidet, vielleicht in gewissen Volksgruppen, z. B.
der jetzigen führenden Kulturschicht des Volkes, deren gegen-
wärtige Zweckvorstellungen dem Richter Wegweiser sind. ' Diese
psychologische Seite der Sache scheint KANTOROWICZ zu über-
sehen, er schürft hier noch nicht tief genug.
Mehr Beifall wird er finden mit seinen Ausführungen über
das Verhältnis der Rechtssoziologie zur Rechtsdogmatik (II, 295 ff.).
Es ist ein Grundirrtum, dem leider auch manche sonst verdienst-
vollen Förderer der Rechtssoziologie erlegen sind, zu glauben, die
Jurisprudenz könne je durch die Soziologie ersetzt werden. Mit
Recht weist KANTOROWICZ diese Ansicht zurück. Die Soziologie
leistet im wesentlichen nur vorbereitende Arbeit. Der Dogmatik
verbleibt als notwendige Ergänzung und spezifisch juristische Tä-
tigkeit die Festlegung der Norminhalte und ihre Anwendung in
1! System des heutigen röm. Rechts I, S. 220.