— 427 —
berufen ist, die Erbschaft der rein formalistischen Dogmatik an-
zutreten.
Daneben findet sich allerdings auch eine reine Rechtsso-
ziologie, die von der Dogmatik des positiven Rechts unab-
hängig ist. Ihre Aufgabe bestimmt EHRLICH" dahin, das Ge-
meinsame der Rechtsverhältnisse in allen Ländern und Zeiten ohne
Rücksicht auf die positiven Rechte, die für sie gelten, zusammen-
zufassen und die Verschiedenheiten nach ihren gesellschaftlichen
Ursachen und Wirkungen zu erforschen. In diesem Sinne gibt es
z. B. eine Soziologie des Eigentumsrechts. Dieser Zweig der
Rechtswissenschaft kann die rechtsvergleichende und rechtsge-
schichtliche Erfahrung nicht entbehren. Er entsprießt — ein
neues, noch kaum erblühtes Reis — dem alten Baum der rechts-
geschichtlichen Forschung, sofern diese sich der soziologischen
Methode bedient. Und da ist denn die Uebereinstimmung erfreu-
lich, mit der in den Verhandlungen des ersten Soziologentages
die Bedeutung der soziologischen Methode für die rechtsgeschicht-
liche Forschung betont worden ist (Il, 304 ff.). Es sind nament-
lich zwei verhängnisvolle Fehler, denen die rechtsgeschichtliche
Betrachtung früher in Deutschland oft erlag. Der eine ist die,
von KANTOROWICZ so genannte „isolierende“* Betrachtung: Sie
will alle Veränderungen der Rechtsnormen immer nur aus voran-
gegangenen rechtlichen Erscheinungen erklären, läßt damit aber
unser Kausalbedürfnis unbefriedigt, vernachlässigt namentlich die
Einwirkung der Wirtschaftsverhältnisse auf die Rechtsumbildung.
Der andere Fehler ist die konstruktive Behandlung nicht mehr
geltender Normen, das Bestreben, sie zu einem lückenlosen System
auszubauen. KANTOROWICZ trifft das Richtige, wenn er darauf
hinweist, das vergangene Recht könne nur als Tatsache, nicht als
Norm behandelt werden. „Es gibt“, sagt JELLINEK, „kein Sein-
Sollendes nach rückwärts“. Allerdings erleidet diese Wahrheit
eine Einschränkung, auf die MAx WEBER in der Debatte hinge-
13 Grundlegung der Soziologie des Rechts S. 386.