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beeinflussen, daß es für einen Skeptiker ein billiges Vergnügen wäre, mit
solcher Arbeit zum Schluß zu kommen: hier sehe man recht, wie im Ver-
erben der Rechtseinrichtungen Vernunft Unsinn werde; hier sei das Bei-
spiel dafür, daß es kein absolutes, kein zum Ideal des richtigen Rechtes
fortschreitendes Recht gebe, sondern nur ein Labyrinth juristischer Worte
und Begriffe. Aber zu solehem Spott über das Menschliche, das allem un-
serm Wissen als unreine Mischung beiwohnt, hat Somm keine Neigung ge-
habt. Er hat sehr genau gesehen, wie schwer es die frühmittelalterlichen
Juristen hatten, die bald fremdes Recht in eigene Begriffe bringen, bald
einheimisches Recht mit fremden Namen bezeichnen mußten. Er hat es,
mit gebotener Vorsicht, abgelehnt, aus den Urkunden des 11. und 12. Jahr-
hunderts überall, wo ein contestari oder contestatio vorkommt, ein Zeugnis
über die sinnvolle Handhabung der römischen Einrichtung zu entnehmen;
er hat gelegentlich auch, nach meinem persönlichen Urteile zu scharf, den
„Scholastizismus der Rechtsbildung* für die Verkehrungen des Begriffs der
Streitbefestigung und für das inhaltlich leere Festhalten unverstandener
Einrichtungen der Quellen verantwortlich gemacht. Aber zuletzt kommt
doch aus seiner Darstellung, selbst der dürftigsten Zeiten des gemeinen
Prozesses und der schwächsten Dogmatiker-Gruppen, die Einsicht und die
Ueberzeugung heraus, daß nicht Zufälligkeiten des Gelehrtenstreits und
Mißverständnisse oder Flüchtigkeiten in der Quellenbenützung den Gang
der Rechtsentwicklung bestimmen, sondern daß auch bei der Gestaltung
der Einzeleinrichtungen ein starker Wille und lebendige Gesamtvorstellung
vom Notwendigen und Richtigen im Rechtswesen am Werk sind. Ueber
die römische litis contestatio selbst ist in der Forschung das letzte Wort
noch nicht gesprochen; SOHM hat sich hier, in der kurzen Einleitung seiner
Schrift, der Vertragstheorie angeschlossen und für den nachklassischen
Prozeß angenommen, daß an Stelle des wirklichen Prozeßvertrags seine
Fiktion getreten sei, die litis contestatio nur den Zeitpunkt bezeichne, in
dem diese Fiktion wirksam wird. Wie dem auch sei: der selbständige und
bleibende Wert der Arbeit liegt in dem Nachweis dafür, daß von der
frühesten bezeugten mittelalterlichen Praxis bis in die jüngste gemeinrecht-
liche Theorie und bis in das jetzt noch geltende kanonische Prozeßrecht
die litis contestatio etwas sein wollte, was für römischrechtlich galt (dies
das „klassische Ideal“ SoHMs), mit jener Auffassung der klassischen und
nachklassischen Zeit aber durchaus nicht stimmt. Schon für die YInter-
pretatio hat SoHmMm in mustergültiger Behandlung der Hauptstellen nach-
gewiesen, daß die litis contestatio eine solenne Erklärung des Streit-
willens, zunächst von seiten des Klägers, beim Gericht ist. Von beson-
derer Bedeutung sind die Nachweise aus den literarischen Bearbeitungen
des Breviers, zunächst den Epitomen; hier stimme ich SOHM durchaus bei.
Ebenso scheint mir in der feinsinnigen Auslegung der schwierigen Stelle
aus der Summa Perusina 3. 9, 1 (S. 84 fg.) die Rechtfertigung der Ver-
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIV. 3/4. 3l