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Und da nur die Staatsgewalt nicht aber der staatliche Verband
dem einzelnen als befehlendes Subjekt gegenüber zu stehen ver-
mag, so ist es immer der Staat im Sinne von Staatsgewalt, an
den man bei Betrachtung der öffentlichen Verhältnisse denkt.
Sofern man sich diese Zwiespältigkeit des Staatsbegriffes vor
Augen hält, können Verwirrungen vermieden werden. Wenn
man z. B. das Gebiet als Moment im Wesen des Staates be-
zeichnet, so ist hier unter Staat der staatliche Verband zu ver-
stehen, der durch das Gebiet seine örtliche Ausprägung erhält ®.
Wenn man vom Gebiete als Objekt des Staates spricht, so hat
man unter Staat die Staatsgewalt zu denken, die das Gebiet
innehält und darüber zu verfügen vermag”. Dagegen geht es
nicht an, das Gebiet als Moment im Wesen des Staates und zu-
gleich als Objekt des Staates zu bezeichnen.
Wir können sogar noch auf einen dritten Begriff des Staats
hinweisen, nämlich auf den Begriff der Nation. Diese ist ein
einanderzuhalten. Nehmen wir an, daß der Staat im engeren Sinne den Ver-
trag abschließt, so bedarf es zur Durchführung gegenüber den Gewaltunter-
worfenen eines staatsrechtlichen Erlasses, der den Inhalt des Vertrages als
Gesetz in Kraft setzt. Der sog. Ratifikationsakt ist dann teils völkerrecht-
liche Genehmigungserklärung, teils staatsrechtliche Anordnung. Nimmt
man dagegen an, der Staatsverband habe den Vertrag abgeschlossen, so
verpflichtet dieser nicht nur den Verband als solchen, sondern auch seine
Organe und Glieder. Der Ratifikationsakt wäre dann nur völkerrechtliche
Erklärung; der Inhalt des Vertrages gälte im Staatsverbande schon völker-
rechtlich, nicht erst infolge staatsrechtlicher Anordnung; die Verpflichtun-
gen der Organe und Glieder gemäß Vertragsinhalt wären völkerrechtlicher
Natur. Vgl. auch meine Ausführungen im Arch. für öffentl. Recht Bd. 23
S. 384—389.
8 FRICKER, Gebiet und Gebietshoheit 1901 geht ausschließlich vom Be-
griffe des Staates als territorialen Verbandes aus.
® Die Lehre LABANDs, Staatsrecht I S. 190 ff. vom Gebiete als Objekt
des Staates geht von einem Begriffe des Staates aus, der sich sowohl dem
Volke als dem Gebiete gegenüberstellt. Doch faßt LABAND auch den Staats-
verband ins Auge, wenn er S. 192 ausführt, daß das Gebiet das dauernde,
sich gleichbleibende, die staatliche Individualisation bestimmende Moment
sei und die räumliche Einheit begründe.