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Sie verknüpften sich mit der altständischen Staatsauffassung
HALLERs, der den Patrimonialstaat neu zu beleben suchte, und
zugleich mit religiös-ethischen Ideen, unter deren Leitung das
Leben des Staates gestellt werden sollte. Diese romantisch-
nationalistischen Ideale beherrschten vornehmlich den Freundes-
kreis Friedrich Wilhelms IV., und hier liegen die Quellen der
Mißerfolge des Königs in seiner deutschen Politik. Die christlich-
germanische Staatsidee dieses Kreises bedurfte der Umbildung
und Auflösung durch die Aufnahme nationalstaatlicher Elemente,
und diese vollzog sich durch FRIEDRICH JULIUS STAHL !.
Als Sohn eines jüdischen Händlers zu Würzburg am 16. Januar
1802 geboren, empfing STAHL im Knabenalter die gewaltigen
Eindrücke der deutschen Erhebung. In einer Rede vor der Preußi-
schen Ersten Kammer (am 14. März 1849) hat er diesen Jugend-
eindrücken begeisterte Worte geliehen: „Meine Herren, als vor
mehr als dreißig Jahren das deutsche Volk in wahrhaft freier
und reiner nationaler Erhebung aufstand, um die fremde Herr-
schaft abzuwerfen, da leuchtete Preußen nicht bloß mit den Waffen
voran, sondern auch mit deutscher Gesinnung und deutschem
Wesen... Deutsche Begeisterung schlug hier ihre Adlers-
schwingen, und Alles, was ein Herz und eine Seele hatte in
Deutschland, folgte ihrem Zuge. Ich war damals ein Knabe im
Süden Deutschlands, noch unfähig der Waffen, aber ein Strahl
jener Begeisterung fiel in meine Seele und in den Jugendkreis,
dem ich angehörte, und ich habe ihn bewahrt mit als das Beste,
was ich besaß.* (Siebzehn parlamentarische Reden, S. 131 £.).
In streng jüdischem Glauben auferzogen, wandte sich der
Jüngling beim Beginne seiner Studienzeit aus innerster Ueber-
zeugung dem protestantischen Bekenntnisse zu, an dem er zeit-
lebens mit Inbrunst festgehalten hat, an dem er auch den Aus-
gangs- und Angelpunkt fand für seine wissenschaftliche Ausein-
! Ich entnehme die vorstehend angedeuteten Zusammenhänge im we-
sentlichen dem Buche MEINECKEs: Weltbürgertum und Nationalstaat.