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dualistischen Staatsidee wurzeln mochte: Regierung und Landtag
erscheinen noch als zwei streitende Parteien, wobei die Kammern
von der Regierung als Hemmungen ihrer Absichten angesehen
werden und jede Opposition als staatsfeindlich gilt °.
Zu Ende des Jahres 1840 trat eine entscheidende Wendung
in STAHLS Leben ein mit seiner Berufung an die Universität
Berlin. Hier hatte sich im gleichen Jahre in den Geschicken
Preußens eine tiefgehende Wandlung vollzogen durch die Thron-
besteigung Friedrich Wilhelms IV. „Wie weit erschien jetzt
wieder der Abstand zwischen alter und neuer Zeit: dort der un-
scheinbare nüchterne König, der trotz seiner innigen Frömmig-
keit doch mit seiner ganzen Weltanschauung in der Verstandes-
aufklärung des alten Jahrhunderts wurzelte, hier sprühend von
Geist und Witz der enthusiastische Jünger der Romantik“ °®. Die
glänzenden Hoffnungen, welche die deutschen Patrioten an die
Thronbesteigung des jungen Königs knüpften, sollten sich nicht
erfüllen; aber die Erneuerung unseres staatlichen Daseins wurde
gerade durch den Denker vorbereitet, der nicht ohne persönliche
Mitwirkung des Königs jetzt nach Berlin berufen wurde, der es
unternahm, das Ideengewirr zu lösen, das den Freundeskreis
Friedrich Wilhelms beherrschte, und anstelle verschwommener
christlich-germanischer und altständisch-romantischer Staatsideale
den preußischen Nationalstaatsgedanken zu setzen,
den dann ein Größerer aufgriff und zur Grundlage unseres heu-
tigen politischen Daseins gestaltete. STAHL wagte es, „den Staat
auf den Boden eines wahrhaft öffentliehen Rechts zurückzuführen
und als Gemeinwesen aufzufassen, die Staatsidee wieder über die
private Rechtssphäre des Fürsten zu stellen“ ”.
„Eihrgeizig, aber vorsichtig und verschlossen“, wandte sich
5 Vgl. JELLINEK, Regierung und Parlament in Deutschland (1909),
S. 9£.
6 v, TREITSCHKE, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. III S. 118.
? MEINECKE, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 230 f.