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zu erhalten. Diese haben kraft ihrer Mitgliedschaft einen An-
spruch darauf. Nicht kann es umgekehrt die Aufgabe und die
Berechtigung des Reiches sein, über die Einzelstaaten willkürlich
zu verfügen. Die Einzelstaaten stehen nicht zur Disposition des
Reiches. Sie sind nicht Objekte der Reichsgewalt, wie die Kolo-
nien, sondern, wenngleich nur in ihrer Gesamtheit, Subjekt, jeder
einzelne von ihnen Mitinhaber der Reichsgewalt.
Auf ein ebenfalls wertvolles, wenn auch m. E. nicht aus-
schlaggebendes Argument weist LABAND!S® hin. Er verneint die
Befugnis des Reiches, Gebietsteile eines Bundesstaates an das
Ausland abzutreten, deswegen, weil hier das in der Mitgliedschaft
enthaltene Recht jedes Einzelstaates auf gleichmäßige Behandlung
mit allen anderen, die Unzulässigkeit, ihm höhere Lasten und
größere, besondere Opfer zuzumuten, zur Anwendung komme
(S. 200. Auf der Anerkennung der Gleichberechtigung, der Ko-
existenz einander ebenbürtiger staatlicher Personen beruhe das
Bundesverhältnis, der bundesstaatliche Charakter des Reiches. Es
sei nur dann zulässig, einem Staate größere Lasten aufzuerlegen,
erheblichere Opfer an Hoheitsrechten zuzumuten, als anderen
wenn er seine spezielle Einwilligung dazu gebe (S. 116 £.).
Die Möglichkeit einer Kompetenzerweiterung des
Reiches dahin, daß es über das Gebiet seiner Gliedstaaten zu ver-
fügen berechtigt sei, ist also abzulehnen. Das Reich ist zu
solchen Verfügungen nicht zuständig. Berührt eine Verfügung
des Reiches über Reichsgebiet zugleich Landesgebiet, so ist die
Rechtsgültigkeit der Verfügung dadurch bedingt, daß auch der
Gliedstaat von sich aus eine dahin gehende Maßnahme trifft.
Diese Maßnahme wird, mag man in ihrem Wesen eine „Zustim-
mung“ zu dem Akte der Reichsgewalt oder richtiger eine selb-
ständige Staatshandlung erblicken, äußerlich in genau der glei-
chen Weise und derselben Form wie eine selbständige Gebiets-
159 Staatsrecht I. 200, 116£.