— 719 -—
war und ıst, Recht zu setzen, nicht auch imstande sein,
Recht außer Kraft zu setzen? Ich möchte behaupten, daß sich
diese weitere Befugnis nicht von selbst versteht. Es handelt
sich in diesem Falle zwar nur um den contrarius actus, aber ge-
rade darum doch um etwas grundsätzlich anderes als in jenem.
Nicht jeder, der etwas gegeben hat, kann es immer ohne weiters
wieder nehmen. Nicht jeder, der etwas geschaffen hat, kann es
wieder ungeschehen machen.
„Posito. non concesso! Außerkraftsetzen kann also der Ge-
setzgeber ein altes Gesetz nicht“, wird man vielleicht dem ent-
gegen halten, „aber doch wohl ein neues Gesetz schaffen?“ Das
wohl. Sonst wäre er ja überhaupt nicht Gesetzgeber. „Und wohl
auch ein beliebiges neues, wobei es sich unschwer wird ergeben
können, daß sich der neue Rechtssatz mit dem alten nicht verein-
baren läßt. Und wie soll man nun in die Akte dieses nämlichen
Gesetzgebers, der sich inhaltlich widersprochen hat, anders Ein-
klang bringen als auf die Weise, daß man dem jüngeren vor dem
älteren Gesetze den Vorrang einräumt? In einer solchen Entgeg-
nung, die man wohl, ohne ihre Lehre zu verfälschen, den meisten
Juristen in den Mund legen könnte, beginnen bereits die Fehler,
und zwar kommen sie gleich gehäuft. An dieser Stelle wird
wohl zum erstenmal behauptet, daß der Gesetzgeber im
Zweifel nicht ein beliebiges neues, daß er nur ein solches
Gesetz schaffen könne, das zu einem bestehen-
den Gesetze nieht in Widerspruch tritt. Und wenn
er es — außer es liegt der häufige Fall seiner ausdrücklichen
Ermächtigung vor — wenn er es also doch tut? Nun, dann ist
seine Handlung rechtlich unwirksam. Freilich, das Bedürfnis,
zwischen den widersprechenden Akten „einer und derselben Auto-
rität“ eine logische Einheit herzustellen, heischt Befriedigung. Aber
unerfindlich ist es, warum, wenn schon einer der beiden Akte,
die übrigens vielleicht nur scheinbar von derselben Autorität her-
rühren — ist es wirklich noch „derselbe“ Gesetzgeber, der heute