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Satzes „lex posterior derogat priori“ aus — aus dem Grunde aus,
weil man mit diesem Satze — wiederum in seiner Bedeutung als
rechtsiogisches Prinzip — jedes beliebige und auch ein von
dem vorausgesetzten abweichende Rechtssystem konstruieren kann.
Und hat man das einheitliche Rechtssystem im Ausgangspunkte,
als Voraussetzung, wozu bedarf man überhaupt eines Prinzipes,
um es erst zu konstruieren? Der Satz von der lex posterior als
denklogisches Prinzip ist bei solcher Voraussetzung undenkbar und
unbrauchbar.
Ein praktisches Bedürfnis nach seiner Anwendung mag nun
freilich im höchsten Grade gegeben sein. Fast möchte man glauben,
was näher zu untersuchen hier freilich nieht unsere Aufgabe sein
kann, daß gerade dieses praktische Bedürfnis seine Festwurzelung
im juristischen Denken, — jetzt ist er wohl unausrottbar mit jeder
Jurisprudenz verwachsen — herbeigeführt hat. Das modernste
Recht wird einmal reformbedürftig. Das ist die Antinomie des
Rechtes, daß es seinem Wesen nach ewig ist, (um dies zu sein,
braucht es sich nicht einmal als Naturrecht zu geben), daß es
aber nur zeitlich wertvoll ist und daß ein Zeitpunkt (oft ein bei
der Setzung des an sich ewigen Satzes bereits vorausgesehener
Zeitpunkt) notwendig herankommt, wo es wertlos wird oder sogar
negativen Wert annimmt. Nun gibt es Mittel, diese dem Gesetze
eigentümliche formale Ewigkeit in eine materielle Zeitlichkeit, die
formale Unabänderlichkeit in eine materielle Abänderbarkeit
abzubiegen; man will aber vor dem Zufalll gesichert sein, daß
die Rechtsschöpfer, sei es aus Unkenntnis oder aus irgendeiner
anderen Ursache von diesem in ihre Macht gelegten Mittel nicht
Gebrauch gemacht haben, und stellt daher etwas, was nur im
Machtbereiche der positiven Rechtsordnung gelegen ist, als Postu-
lat der Logik hin, das es in Wirklichkeit nicht ist?%. Doch kann
3° Keine unvoreingenommene logische Untersuchung wird zu der Er-
kenntnis kommen, daß einem späteren Gesetze vor einem jüngeren der
Vorzug gebühre. Das oft sehr begründete Urteil dieses Inhaltes ist im
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXVII. 1. 6