Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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würden wir sagen; denn die Staatsgewalt bedeutet eben auch Macht über 
das Recht. Der Verfasser erklärt das gegenüber W. JELLINFK, der diesen 
Gedanken ausspricht, für einen „furchtbaren Satz“ (S. 141), verwirft die 
„Erdrückung des Rechts durch den Staat, die Vorherrschaft der staatlichen 
Willenstheorie“ und erklärt sich für GIERKk, bei dem „das Wesentliche“ 
weniger die organische Staatstheorie sei, als „die Lehre von der Gleich- 
wertigkeit des Rechtes und Staates und ferner die Erfassung des genossen- 
schaftlichen Rechtsgedankens“ (S. 63, S. 64). Dieser genossenschaftliche 
Rechtsgedanke aber ist ihm einfach verdünnter Rousseau: das Volk ist 
der einzige Gesetzgeber, aber es kann seine Gesetze auch machen durch 
Vertreter oder stillschweigend. Die „ Volksbeauftragten“, die bei uns neuer- 
dings solche Anordnungen erließen, sind keine „Organe des Gemeinschafts- 
willens“, bevor durch Annahme der Verfassung „der neue contrat social ge- 
schlossen ist“. Sie haben nicht „volksstaatlich gedacht“, wenn sie von dem 
„alten contrat social“ den Begriff der gesetzgebenden Gewalt übernahmen. 
den sie sich haben „suggerieren lassen“ (8. 92, 93). Die Suggestion ging 
aus von den Dienstgebäuden der alten Gesetzgebungsmaschine, in welchen 
man sich befand. Damit bestätigt sich die vorausgeschickte Lehre von der 
verhängnisvollen Bedeutung des „in den Dingen verkörperten Geschäfts- 
ganges“, wo „die Befugnisse an der Stelle haften“, an den „Staatsge- 
bäuden‘, wie denn auch für „die Kirche“ der Sprachgebrauch „das Archi- 
tektonische stets beibehalten hat“ (8. 78). Es ist offenbar ein Stück von 
dem, was der Verfasser anderwärts als „Völkerpsychopathologie“ bezeich- 
net. Jedenfalls hat es hier gewirkt: „Der alte verdinglichte contrat social 
wurde stärker als die Revolutionsgewalt“ (S. 93). 
So würden denn alle diese „Verordnungen mit Gesetzeskraft“ haltlos 
in der Luft schweben, wenn nicht das Volk, der „dominus legis“ (S. 105) 
sich ihrer annehmen wollte. Es kommt darauf an, daß ihre „Aufnahme 
in den Volkswillen“, ihre „Anerkennung“, „Rezeption“ stattfinde 
(S. 92, 105 ff.). Eine solche ist nur dann zu erwarten, wenn das Angeord- 
nete auf einem „Notstand“ beruht, einem „äußeren‘, wie er bisher 
schon für die sogenannten Notverordnungen in Betracht kam, oder einem 
„inneren*, sagen wir subjektiven, wo es sich lediglich handelt um Forde- 
rungen der „Logik der Revolution‘, um etwas „als Notwendigkeit Empfun- 
denes“ (S. 105, 106). 
Das gäbe nun freilich einen sehr problematischen Maßstab! Und noch 
problematischer wird die ganze Lehre bei der Frage: „Woran erkennt man 
nun diese Aufnahme in den Volkswillen?“ (8. 106). Denn von dem Fall 
einer förmlichen Bestätigung durch verfassungsmäßiges Gesetz soll ja ab- 
gesehen werden; das wäre nichts besonderes (S. 110. Man müßte sich 
also wenigstens auf das Vorhandensein einer gewissen Geneigtheit oder 
Nichtabgeneigtheit bei der Masse berufen können und auf allerlei Ver- 
mutungen dafür — dünn wie Spinnweben! Unter anderem soll in Betracht
	        
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