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Staatsanschauungen. (uellenstücke, zusammengestellt von Paul
Rühlmann. Teubner, 1918.
Drei Einzelhefte der bekannten „Quellensammlung für den geschicht-
lichen Unterricht“ von LAMBEcK und RÜHLMANN sind hier zu einem schmalen
Bändchen vereinigt, das uns die „Geschichte des Staatsgedankens von der
Antike bis zur Gegenwart“ gleichsam in gedanklichen Originalbildern vor
Augen führen soll. Staatsgedanke, Staatsanschauung, darunter hat R. ver-
standen nicht bloß die historisch-politische oder juristische oder philo-
sophische Formulierung des Begriffs: Staat, sondern auch die Gedanken
und Anschauungen über die Staats- und Regierungsformen, das Verhältnis
von Staat und Nation. die äußeren Beziehungen der Staaten. verdeutlicht
an Kernstellen der einschlägigen Literatur, also mit einem Worte, einen
Quellenabriß zur Geschichte der politischen Theorien. Sofort tritt die
Frage nach der Disponierung des Stoffs beherrschend in den Vordergrund.
Zur Wahl steht — natürlich — das persönliche und das sachliche Prinzip.
Die in ihrer Art immer noch nicht ersetzte „Geschichte der neueren Staats-
wissenschaft“ von BLUNTSCHLI gruppiert im wesentlichen nach dem ersten
Gesichtspunkt, gelegentlich die einzelnen Theoretiker zu sachlich benann-
ten Gruppen zusammenfassend. Dagegen sind RUDOLF STAMMLERsS im
Vorjahr erschienene Leitsätze über „Rechts- und Staatstheorien der Neu-
zeit“ streng nach dem zweiten Grundsatz zusammengestellt, hier findet
sich im Inhaltsverzeichnis kein efiziger Personenname. RUHLMANN hat
sich der — üblicheren — Methode BLUNTSCHLIs angeschlossen, doch konnte
auch er natürlich eine gewisse Gruppierung der Persönlichkeiten nach in-
haltlichen Rücksichten nicht umgehen. Gegen die Art und Weise, wie das
geschieht, ist auch für das erste Heft nichts Erhebliches zu sagen. Die
hier gewähiten Abschnitte sind folgende: Zunächst die „Antike“: 1. Die
Anfänge staatstheoretischen Denkens (Demokrit, Sokrates, Thukydides),
2. Die Klassiker der antiken Staatstheorien (Platon, Aristoteles), 3. Das
griechische Erbe im republikanischen Rom (Polybios, Cicero), 4. Der Hel-
lenismus. Dann „Das Mittelalter“: 1. Patristische Staatsauffassung (Augu-
stin), 2. Scholastische Staatstheorie (Thomas von Aquino). 3. Mittelalter-
licher Staatsuniversalismus [besser wäre wohl: Theorie des Universalstaats}
(Dante), 4. Süäkularisierung der Staatsidee (Marsilius von Padua, Machia-
velli). Endlich „Reformation und Gegenreformation“ (Luther, Calvin, Je-
suiten). Sehr wesentliche Einwände aber ergeben sich beim zweiten und
dritten Heft, die das 16.—18. Jahrhundert, bzw. das 19. Jahrhundert um-
fassen. Jenes trennt R. in drei Teile: Die Lehre vom Staatsvertrage, die
absolutistische Theorie und die Volkssouveränitätslehre. Schon rein äußer-
lich ist diese Zerlegung eine Unmöglichkeit, denn der erste und der dritte
Abschnitt lassen sich nicht voneinander scheiden, um nicht zu sagen: sie
wirken tautologisch. Oder sind etwa die Milton, Locke, Montesquieu und
— Rousseau im dritten Abschnitt, nicht auch typische Vertreter der Ver-