— 174 —
mit sich eine Verantwortlichkeit gegenüber der Gesamtheit und
wird sich derselben in einem gesunden Staate stets bewußt bleiben.
Der Verantwortlichkeit des einzelnen gegenüber der Gesamtheit
entspricht anderseits die Verantwortlichkeit der Organe der öffent-
lichen Gewalt dafür, daß sie gerecht vorgehen. Vom geordneten
Funktionieren der öffentlichen Gewalt hängt das Schicksal des
Staates und der geordnete Lebenslauf des einzelnen ab. Nur ein
Individuum mit vollkommen erloschenem Gemeinschaftsgefühl kann
die Steuerschuld und die Haftung hiefür als Pflichten auffassen,
die ihm im fremden Interesse übertragen sind. Nur in einem zer-
rütteten Staate ist den Öffentlichen Organen das Gefühl der Ver-
antwortlichkeit geschwunden.
2. Schuld und Haftung im deutschen Recht.
Die Gegenüberstellung von Schuld und Haftung ist in den
letzten Jahrzehnten bei rechtliehen Untersuchungen infolge der
weiteren Vertiefung der deutschrechtlichen Forschung auf
diesem Gebiete sehr beliebt geworden. Im altrömischen Recht,
im orientalischen Recht, im modernen bürgerlichen Recht suchte
man Spuren zu finden. Auch im Finanzrecht hat sie Anklang
gefunden. Es ist ein Verdienst MYRBACH3’, zuerst darauf hin-
gewiesen zuhaben, jedoch ohne daß er die Schlußfolgerungen daraus
gezogen hätte. Daß die deutschrechtliche Unterscheidung von
Schuld und Haftung nicht von vornherein aus dem Finanzrecht
auszuschließen ist, ist für den klar. der sich des in der Vergangen-
heit bestandenen engen Zusammenhanges zwischen Privat- und
öffentlichem Recht bewußt ist. Die Ausbildung der Lehre zuerst
auf dem Boden des Privatrechtes ist kein Grund ihres Ausschlusses
im Finanzrecht. Wir müssen uns nur erstens des Wesens des
” FRANZ FR. v. MYRBACH-RHEINFELD, Grundriß des (österr.) Finanz-
rechtes, 2. Aufl. (1916), S. 68ff., bes. S. 73f. Seine ersten Versuche sind
allerdings nicht geglückt. Mit Recht wendet sichägegen einige Konstruk-
tionen EMANUEL HuGo VOGEL, Finanzarchiv XXIX, S. 471ff,