Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

Gegensatzes von Schuld und Haftung bewußt bleiben und dürfen 
zweitens die Öffentlichrechtliche Natur der Finanzrechtsinstitute 
nicht außer acht lassen. Ueber letztere haben wir schon ge- 
sprochen; hier wollen wir nur kurz über den ersteren Punkt uns 
orientieren. | 
Die Schuld erschöpft sich nach deutschrechtlicher Auffassung 
auf passiver Seite in einem Leistensollen, auf aktiver Seite in 
einem Bekommensollen. Das Haftungsverhältnis, das den Haften- 
den einer rechtlichen Macht des Gläubigers unterwirft und dem 
Gläubiger ein Zugriffsrecht einräumt, um sich die geschuldete 
Leistung oder den Ersatz derselben zu verschaffen, tritt erst zu 
der Schuld hinzu®. Schuld und Haftung können vereint sein, aber 
auch jede für sich selbständig nebeneinander entstehen und be- 
stehen. Die Sonderung des Rechtsverhältnisses der Schuld und 
jenes der Haftung ist das wesentliche. 
Dies ist aber nicht die einzige Eigentümlichkeit des deutschen 
Rechtes. Im Gegensatze zum römischen Recht erfährt die Schuld 
eine Verselbständigung oder Versachlichung — den Ausdruck Ver- 
dinglichung, der zu Mißverständnissen führen kann, wollen wir 
vermeiden —, welche sie nicht an eine bestimmte Person des 
Gläubigers oder Schuldners fesselt, sondern für sich allein bestehen 
läßt. Die Schuld wird losgelöst von einer bestimmten Person des 
Schuldners oder Gläubigers und wandelt mit der Sache, mit der 
sie verbunden ist, ihre eigenen Wege. 
Die deutschrechtliche Forschung auf diesem Gebiet ist noch 
nicht abgeschlossen. Namentlich die rechtsgeschichtliche Er- 
klärung ist noch nicht gesichert. Wir glauben aber dennoch, die 
Ergebnisse der herrschenden Lehre für unser Rechtsgebiet verwerten 
zu können und erhoffen eine Stärkung der zivilrechtlichen Lehre 
durch das Finanzrecht. In ihm erscheinen von altersher Schuld 
und Haftung gesondert; es sind selbständige Rechtsinstitute. 
  
  
8 OTTO vV. GIERKE, Deutsches Privatrecht, II Schuldrecht, 1917, 
S. 81£.
	        
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