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gie „das Sittliche als eine Einheit faßten und von einer Quelle her für den
Staat wie für das Privatleben in seinen besonderen Ausgestaltungen ableiten
würden“. Bei der Gelegenheit kommen ihm, obgleich er gerade auf BAUM-
GARTEN nicht zielt, dessen Worte in die Feder, und dieser lapsus linguae
scheint mir bezeichnend für die meines Erachtens gar nicht so erhebliche
Diskrepanz zwischen beiden Autoren, wenigstens in dem bisher Erörterten.
Ob man nämlich (mit FRANZ) von besonderen „Anwendungen* bzw. „Aus-
gestaltungen* ein und desselben Sittengesetzes oder (mit BAUMGARTEN) von
eigenen Maßstäben und Normen des Sittlichen jeweils in der individuellen
und politischen Sphäre redet, kommt schließlich sachlich auf dasselbe hin-
aus. Das zeigt sich deutlich, wenn man die systematische Darstellung in
‚beiden Fällen überblickt.
FRANZ legt den Ton allzu sehr auf die Einheitlichkeit der Moral, auf
die Bestimmung der Staatsmoral von derjenigen des privaten Individuum
her und muß daher die unleugbaren Differenzen als „selbstverständliche“
(49) Ausnahmen zugeben und zusetzen. BAUMGARTEN geht von einem
klaren Dualismus aus, kommt daher ganz von selbst auf Milderungen und
zukünftigen Ausgleich. So schließen seine Antithesen ganz natürlich
aynthetisierend, während in die moralische Harmonie bei FRANZ arge
Dissonanzen der politischen Praxis hineinklingen.
Es ist für unsere Auffassung des Verhältnisses beider Autoren charak-
teristisch, daß sich sowohl bei dem einen wie dem andern die gleichen
„moralischen* Urteile über gewisse Fragen der politischen Praxis (z.B.
Bruch von Verträgen) finden, wie denn überhaupt, um es mit aktuellen
Schlagworten auszudrücken, weder FRANZ der moralisierende Pazifist noch
BAUMGARTEN der machiavellistische Gewaltpolitiker ist, als die sie ange-
sichts der hier behandelten literarischen Fehde auf den ersten Blick er-
scheinen könnten.
Und dieser Gesichtspunkt scheint mir auch festgehalten werden zu
müssen, wenn man jene Fehde weiterhin verfolgt, wobei die Argumente
von FRANZ stärkere Bedeutung gewinnen. Es handelt sich dabei, dies sei
im Rahmen einer kurzen Kritik noch erwähnt, um den „Inhalt“ der Moral.
Hier ist FRANZ zuzugeben, daß die etwas zu lapidare Formulierung bei
BAUMGARTFN: Staatsmoral = Sicherung und Durchsetzung der Macht, das
Problem nicht ausschöpft, daß die Erkenntnis „eben jener sittlichen Momente,
die im Staatsleben zu dem bloßen, wenn auch selbstverständlich unentbehr-
lichen Machtstreben noch hinzukommen‘ (13) von außerordentlicher Wichtig-
keit ist, wobei die auch bei TRFITSCHKE fehlende Unterscheidung von
lebensnotwendiger und willkürlicher Machterweiterung unbedingt gemacht
werden muß,(16); daß andererseits Privatmoral mit Selbstaufopferung und
Entsagung im Gegensatz zur staatlichen nicht gleichzusetzen ist, wie bei
BAUMGARTEN (S. 115).
Aber auch hier ist doch gleich wieder zu beachten, daß man sich an