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wurde das offen zugegeben, aber auch für berechtigt erklärt.
Denn das allgemeine Stimmrecht sei nur da gerechtfertigt, wo es
den persönlichen Leistungen entspreche. Deshalb habe man in
der Reichstagsperiode von 1906/09 aus der Ausdehnung der all-
gemeinen Wehrpflicht die Folgerung des allgemeinen Stimmrechtes
für die zweite Kammer gezogen. Ueber das allgemeine Stimm-
recht lasse sich reden, wenn etwa alle Einwohner Schnee schippen
oder Straßen pflastern müßten. Die Gemeinde sei aber ein vor-
wiegend wirtschaftlicher Verband, dessen wichtigste Aufgaben in
Armenpflege, Weger, Gesundheitspflege, mit höherer Genehmigung
auch in Verordnungen über Gesundheitspflege, Sittlichkeitsordnung
und Sicherheit beständen. Die wichtigsten Angelegenheiten seien
dem Gebiete der wirtschaftlichen Verwaltung zugehörig. Deshalb
müsse die Steuerzahlung Grundlage des Wahlrechtes bleiben.
Im Hintergrunde schwebte dabei immer der Kampf um die
erste Kammer — eine Folge davon, daß man hier eine politische
Einriehtung auf kommunalen Grundlagen aufgebaut hatte. Das
wurde schon liberalerseits ganz offen zugegeben. Und der
Sozialdemokrat Hjalmar Branting äußerte 1912, mit dem Ver-
schwinden des 40stufigen Gemeindewahlrechtes werde auch folge-
richtig der Unterschied zwischen den beiden Kammern verhältnis-
mäßig abnehmen. Das ‘gebe einen natürlichen Ausgangspunkt
für die künftige Entwicklung im demokratischen Sinne zum Ein-
kammersystem. Auf liberaler Seite ist man nicht ganz so offen.
Nun ergaben die Wahlen zur zweiten Kammer im Herbst
1917 eine Absplitterung von der Rechten um 16 Stimmen, im
ganzen für die Rechte 70. die Liberalen 62, die Sozialisten 98,
alle drei Hauptgruppen allerdings wieder in sich mehrfach ge-
spalten. Aber ein entschiedener Zug nach links war unverkenn-
bar. Das Haupthindernis für eine Politik im Sinne der Linken
bildete jetzt nur noch die erste Kammer mit ihrer starken kon-
* Vgl. CLeinory, Hjalmar Brantings Sieg in den „Grenzboten“ 1917,
Bd. 4, S. 33 ff.