— 275 —
Das gemeine deutsche Staats- und Verwaltungsrecht vor dem
Weltkriege kannte in aller Regel nur drei Anwendungsfälle von
allgemeinen Delegationen größeren Umfanges: Das Notverord-
nungsrecht, das Ausführungsverordnungsrecht und das Recht zum
Erlaß von Polizei- und Polizeistrafverordnungen. Hiervon waren
die beiden ersten durchaus im Gedankengange des Rechtsstaats
gelegen, insofern das Notverordnungsrecht nur eine an besondere
Voraussetzungen ünd Sicherungen gebundene bewußte und ge-
wollte Durchbrechung des Rechtsstaatssystems für Notstandsfälle
bedeutete, während das Ausführungsverordnungsrecht durch die
ihm innewohnende Beschränkung auf Rechtssätze, die den Ge-
danken eines Gesetzes fort- und zu Ende denken, ohne selbst
neue Gedanken einzuführen — hinreichende Gewähr dafür bot,
daß die führende Stellung des Gesetzes gewahrt blieb. Anders
lag es schon mit dem Polizeiverordnungsrecht. Hier ist die
dem Rechtsstaatsideal zuwiderlaufende Wirkung einer solchen
allgemeinen Delegation zum Erlaß vor allem von Strafrechtssätzen
stets empfunden worden, und Wissenschaft wie Praxis haben sich
in mannigfacher Weise bemüht, die dem ganzen Rechtsstaatsge-
danken so bedrohliche Polizeigewalt einzudämmen; bekannt ist,
wie die auf Wahrung der Rechtsstaatsidee besonders bedachten
süddeutschen Staaten für den Erlaß der Polizeistrafverordnungen
im Gegensatz zu dem in Norddeutschland herrschenden System
der generellen Delegation das System der speziellen Delegation
ın ihren Polizeistrafgesetzbüchern durchgeführt haben.
Der Krieg, der mit seiner ungeheuren Anspannung des Staats-
gedankens eine Umbildung der Staatsverfassung zu einer mehr
absolutistisch-zentralistischen Gestaltung herbeiführte, hat auch
für Rechtssätze und Eingriffe die Rechtslage gänzlich verändert.
Nicht nur daß durch die dauernde Verhängung des Kriegs-
bzw. Belagerungszustandes ein besonderes _Befehls- und Ver-
ordnungsrecht der militärischen Befehlshaber neben die Reichs-
wie Landesgesetzgebung getreten ist; der Reichsgesetzgeber hat
19*