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12. November 1918 entweder als Reichsgesetz oder als kaiser-
liche Verordnung nach den bisherigen Gepflogenheiten durch den
Reichskanzler hätte kontrasigniert werden müssen; das Reichs-
kanzleramt aber war durch die Revolution beseitigt, die Befug-
nisse des Reichskanzlers wurden gleichfalls vom Rat der Volks-
beauftragten wahrgenommen.
Ueberhaupt muß man zum Verständnis des Erlasses vom
12. November 1918 in Rechnung ziehen, daß die Volksbeauftrag-
ten sich zunächst Machtvollkommenheiten beilegten, in denen die
Funktionen der sämtlichen bisherigen Reichsregierungsgewalten
— Kaiser, Bundesrat und Reichskanzler — zusammenflossen, wäh-
rend gleichzeitig die Beschränkungen, die bis dahin in den ver-
fassungsmäßigen Mitwirkungs- und Kontrollrechten des Reichs-
tags bestanden hatten, mit dem Reichstag selbst in Wegfall ge-
kommen waren (vgl. hierzu RICHARD SCHMIDT, Die Grundlinien
des deutschen Staatswesens, Leipzig 1919, S. 163). Gesetzgebung
und Verwaltung vereinigten sich, und diese ungeteilte Staatsge-
walt übten die Mitglieder des Rates der Volksbeauftragten ge-
meinsam und einheitlich ohne ressortsmäßige Teilung und ohne
Vorrang aus, sich dabei der bisherigen oder neu geschaffener
Reichsämter und ihrer Beamtenschaft als Gehilfen bedienend. Die
Bundesstaaten erschienen dieser absoluten Reichszentralgewalt
gegenüber nur noch als Verwaltungsdepartements, in deren Be-
reich die Reichsregierung ohne weiteres eingreifen konnte und
eingriff, da mit der gesetzgebenden Gewalt des Bundesrates auch die
Schranke für die Kompetenzausdehnung des Reiches gefallen war.
die bis dahin der Artikel 78 der Verfassung vom 16. April 1871
mit seinem Erfordernis des verfassungsändernden Reichsgesetzes
gebildet hatte (vgl. hierzu WALDECKER, Juristische Wochen-
schrift 1918 Nr. 15: auch Reichsgericht, Beschl d. 1. Strafs.
I 81/19 vom 28. April 1919, Urteil I 102/19 vom 2. Juni 1919,
D. J. Z. 1919 Sp. 742 f.; F. GIESE, Die Verfassung des Deutschen
Reiches vom 11. August 1919, 8. 7).