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So teilt die-Entwicklung des Verordnungsrechts im Reiche seit
November. 1918 die allgemeine. Tendenz des Rechtslebens, aus der
abgelutistischen, Vereinigung aller Gewalten, wie sie die Revolutions-
zeit mit sich gebracht hatte, in das.System des Verfassungs- und
Rechtsstaates zurückzulenken. Mindestens seit dem Gesetz über
eine vereinfachte Form der Gesetzgebung vom 17. April 1919
macht sich auch das dieser allgemeinen Richtung entsprechende
Bestreben geltend, mit den zahlreichen, untereinander konkurrieren-
den, umfassenden Verordnungsrechten einzelner Stellen aufzuräumen
und dort, wo allgemeine Delegationen zum Erlaß von Verordnun-
gen noch nötig werden, diese an formelle Rechtsschranken wie
die Zustimmung eines parlamentarischen Ausschusses oder des
Staatenausschusses bzw. Reichsrates zu knüpfen — eine Rechts-
form, die sich aus den schlimmen Erfahrungen der Kriegszeit mit
ihrem unbeschränkten Verordnungsrechte des Bundesrats zuerst
im Hilfsdienstgesetz mit seinem Hilfsdienstausschuß durchgesetzt
hatte.
Ganz im Widerspruch zu dieser allgemeinen Richtung der Ent-
wicklung hält aber die Praxis der Reichsregierung nach wie voran den
der Revolutionszeit entstammenden unbeschränkten Verordnungs-
rechten fest, die sich „auf Grund der die wirtschaftliche Demobilma-
chung betreffenden Befugnisse nach Maßgabe des Erlasses, betreffend
AuflösungdesReichsministeriumsfür wirtschaftlicheDemobilmachung
vom 26. April 1919* für die verschiedenen Reichsministerien er-
geben sollen. In durchaus unzulässiger Weise wird dabei nach-
träglich ein Zusammenhang mit den Verordnungsrechten des Bun-
desrates aus & 3 des Ermächtigungsgesetzes vom 4. August 1914
herzustellen versucht; .und das Verordnungsrecht wird vom Reichs-
minister des Innern, vom Reichswirtschaftsminister, vom Reichs-
arbeitsminister und anderen geltend’gemacht, obwohl es in Wahr-
heit mit dem Demobilmachungsministerium durch den Erlaß vom
26. April 1919 sein Ende ‚gefunden hat und die Uebertragung
auf-die anderen Ministerien rechtswirksam nicht erfolgt ist.