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ruft“®, als welcher wohl jeder der beiden „Staaten“ in Betracht
kommt. Wahrscheinlich beabsichtigte Zweideutigkeit spricht viel-
leicht noch mehr aus dem neugebackenen Grundsatz des Gemein-
schaftslebens (Art. 119), daß die Mutterschaft Anspruch auf
den Schutz und die Fürsorge des Staates hat, womit, da weder
Reich noch Land allein zur Befolgung ausreichen würden, allem
Anschein nach eine Korrealität der Verpflichteten geschaffen
werden sollte, die wohl auch auf die Gemeinde fortwirken will.
Ob das schon eine rechtliche oder doch nur eine sittliche Kor-
realität sein soll, ist übrigens hier ohne Belang. Es duldet kaum
einen Zweifel, daß gerade hier die Anrufung des Staates auf
Reich und Land in ihrer geheimnisvollen bundesstaatlichen Ein-
heit als die stärksten Bürgen hinzielt, von denen weder Reich noch
Land ausscheiden könnten, ohne den Schutzgedanken zu gefährden.
Die äußere Umbenennung der heutigen Länder hatte also
jedenfalls nicht den Erfolg, ihren großen überlieferten Anteil an
„Staatlichkeit* in wesentlichem Maße zu tilgen. So wenig das
Symbolische an dieser neuen Farbengebung unterschätzt werden
darf, so viel Schutz fanden anderseits die Länder, von der über-
kommenen Machtstellung ganz abgesehen, in_nachwirkenden Denk-
gewohnheiten und nicht zuletzt sogar im sprachlichen Unvermö-
gen, die Um- oder Neuprägung aller in Fluß geratenen Rechts-
beziehungen plötzlich zu vollziehen. Das heutige Land stand eben
so lange im Mittelpunkte wichtiger staatlicher Orientierungen und
hinter so vielen Rechtsverhältnissen, daß das Gedankliche und
Sprachliche im Texte der neuen Verfassung den zahlreichen Ver-
schiebungen bisher geläufiger Perspektiven —— zumal bei der Un-
durchsichtigkeit der weiteren Entwicklung — nicht ebenso rasch
zu folgen vermochte. Das Naheliegendste und gewiß auch po-
litisch Bequemste mußte es sein, neue und übernommene Rechts-
sätze auf das große Abstractum oder die geheimnisvolle Unbe-
® Juristische Wochenschrift 48. Jahrgang. („Grundrechte und Grund-
pflichten®) 8. 307.