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deutsch-österreichischen Kanzler zum Aergernis, das erst mit dem
Rückritt des Gesamtkabinetts behoben werden konnte. Wahl der
Regierung durch das Parlament, zumal im Kleinstaate, tut besser
daran, von einer Erstministerschaft abzusehen, wie u. a. der schon
erwähnte Verfassungsentwurf für Sachsen-Weimar-Eisenach (88 31
und 32) in der Begründung des Berichterstatters Rosenthal. Durch
den im Reiche als Großstaat vorgezogenen möglichsten Anschluß an
das überlieferte Erstministersystem, dashier im engeren Zusammen-
hange und nur für dieses Teilgebiet, also isoliert betrachtet, eine
gewisse einseitige Folgerichtigkeit für sich hat, vermindert sich in
der deutschen Reichsverfassung die Schwierigkeit, insofern sie
überhaupt durch äußere Regelung der Bestellung und Unterord-
nung wirksam bekämpft werden kann.
Doch sind alle denkbaren Vorteile einer solchen Anknüpfung
an früher Gewesenes schwer genug mit den Nachteilen erkauft,
welche die Uebernahme einer veralteten Einrichtung mit allem Zu-
behör zur unvermeidlichen Folge haben mußte. Es wurde damit
etwas Totes, Unlebendiges, Störendes übernommen, das von der
politischen Erfahrung zum Teile überholt wurde, an der politischen
Wirkliehkeit vorbeigeht und sie kaum mehr bestimmen dürfte, ja
sogar bei pedantischer Ausführung die Widersprüche mehrt. Wurde
doch jetzt auch manches hinzugefügt, was, durch das Wesen der
Ministerschaft kaum gefordert, früher aber, wenn auch irrtümlich
als Vervollkommnung der verkümmerten Reichsleitung gewünscht,
jetzt dagegen, nach Schaffung einer einheitlichen Reichsregierung,
nicht nur entbehrlich, sondern mit dem ganzen Gedanken einer
politischen Regierung schlecht vereinbar geworden war.
Daß für die Reichsregierung unter hausväterlicher Vorsorge
für eine gute Geschäftsordnung (Art. 55) das Kollegialsystem
festgesetzt wurde, das man der früheren Reichsleitung so lange
vergeblich gewünscht hatte, um sie damit auch äußerlich — wie
wenn es auf derlei ankäme — als Reichsministerium zu konsti-
tuieren, wäre noch nicht das Schlimmste. Die Denkschrift der