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sagen hatte, war eben ursprüngliche rechtliche Verantwortlichkeit
das Kennzeichen jedes Ministers®” wie umgekehrt, da die Kolle-
gialität im Kabinett oder Ministerrat nicht viel hieß, jeder ur-
sprünglich in diesem Sinne Verantwortliche als Minister aufgefaßt
werden konnte, auch wenn er dem engeren Regierungskollegium
nicht angehörte. Man gab ihm dann auch in dunkler Vorempfin-
dung dessen wenigstens den gleichen äußeren Rang, wie etwa in
Oesterreich dem Präsidenten des Obersten Rechnungshofes, der
jedoch damals der Volksvertretung selbst nieht verantwortlich
war (worauf es aber auch dem jungen Verfassungsstaate minder
ankomnıt!) 38,
Diese ganze Ideologie zittert nunmehr mit oder ohne bewuß-
ten Zusammenhang — in der neuen Reichsverfassung nach, ob-
wohl sie — ganz abgesehen vom nun festgelegten Prinzip der
Regierungskollegialität — sich auch noch zu einer ganz anderen
Auffassung der Regierungsmitglieder bekennt und das System der
geschlossenen Ministerverantwortlichkeit im früheren Sinne ent-
sprechend der geänderten Anschauung durch verschiedene z. T.
schon gestreifte Einrichtungen abbaut. Das vornehmste Privileg
einer Regierung, die Vorlagen im Hause einzubringen und darin
nur mit dem Hause selbst zu konkurrieren, wurde in der neuen
Verfassung nur in sehr beschränktem Maße und bloß formal bei-
behalten. Zwar ist es noch immer Sache der Regierung, Gesetzes-
vorlagen, die nicht aus der Mitte des Reichstags hervorgehen, ein-
zubringen (Art. 68). Wie wir aber wissen, muß sie auch gegen
ihre Ueberzeugung Gesetzesvorlagen des Reichsrats (Art. 69), des
Reichswirtschaftsrats (Art. 165) und eines Volksentseheids (Art. 73)
ghus« »
9 So z. B. besonders kurz und bündig, LABAND, Deutsches Reichsstaats-
recht, 7. Aufl. bearbeitet von Orro MAYER 1919, S. 88.
838 WITTMAYER, SCHMOLLERsS Jahrbuch a. a. O. S. 3 (833) f. mit dem
Hinweise darauf, daß auch die Ministerverantwortlichkeit überwiegend ein-
seitig als Verantwortlichkeit vor dem Fürsten empfunden wird, weshalb
die durch das Institut angebahnte Selbständigkeit der Ministerstellung
vorerst nicht zur Geltung gelangen kann.