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Besinnt man sich auf die anderen Ausgangspunkte der juristi-
schen Ministerverantwortlichkeit, dann muß es freilich um so mehr
überraschen, daß diese veraltete Einrichtung, bekanntlich nicht bloß
für die Reichsregierung übernommen ist, welche ohnehin unter
strengerer politischer Verantwortlichkeit lebt und weitere Bürg-
schaften erübrigt, sondern auch noch neue Triebe ansetzt. Sie
wurde nunmehr recht willkürlich sogar auf den Reichspräsidenten
ausgedehnt, wodurch dieser selbst — vielleicht nur deshalb, weil
er als Einzelperson eine geeignete Angriffsläche bot — am über-
lebten Ministerbegriffe Anteil erhält und von dem ihm durch die
Verfassung zugedachten herrschaftlich gehobenen Platze wieder
herabgezogen wird. Bestünde nicht Volkswahl und hätte! man
iım in naheliegender Analogie — es wäre nur eine Altmode mehr
gewesen — auch noch bei besonderen Anlässen in Erinnerung an
die einstigen Kronräte den Vorsitz in der Reichsregierung einge-
räumt, den übrigens die seitherige Kommentierung der Verfassung
nicht ausschließt ??, so müßte er geradezu als exponierter Reichs-
minister alten Stils aufgefaßt werden. Infolge der juristischen
Verantwortlichkeit unterscheidet sich natürlich der gegenwärtige,
noch nicht aus allgemeiner Volkswahl hervorgegangene Reichs-
präsident noch weniger von einem solchen Altminister, bei dem
es ja auf politische Verantwortlichkeit, die andere Leute macht,
gar nicht ankommt. Aber auch den künftig vom Volke Gewählten
stempelt schon die einzige Tatsache seiner noch so schwer be-
weglichen juristischen Verantwortlichkeit zu einem recht verein-
samten altmodischen Minister höherer Ordnung, der damit ständiger
Kritik im Reichstage ausgesetzt wird, worauf es doch diese Art
von Verantwortlichkeit als Ursprung des politischen abgesehen
hat. Es ist wahr: ihm fehlt das dazugehörige Korolar; er kann
sich in seiner einsamen Größe nicht persönlich zur Wehr setzen,
da er keinen unmittelbaren persönlichen Verkehr mit dem Parla-
mente hat, worauf die spätere verfeinerte Auffassung der Minister-
4 Vgl. Portzson, Handausgabe 8. 64.