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Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen
Reichsverfassung ').
Von
HEINRICH TRIEPEL.
I
Als im August des vergangenen Jahres die Zeitungen die glück-
liche Beendigung des Weimarer Verfassungswerks begrüßten,
glaubten manche von ihnen zum Ruhme der neuen Reichsver-
fassung behaupten zu können, sie werde den Juristen weit
weniger Stoff zu Streit und Zank als die Bismarcksche Verfassung
bieten. Sie sei in den Hauptabschnitten ausführlicher als jene
und deshalb verständlicher. Sie spreche immer deutlich aus, was
sie.meine; die alte Verfassung habe heikle Fragen gern mit Still-
schweigen übergangen. Von der schlecht redigierten Verfassungs-
urkunde von 1871 steche die Weimarer Verfassung aufs vorteil-
haftesteab durch die Glätte ihrerFormulierung. Derrechtliehen Kon-
struktion werde sie geringere Schwierigkeiten machen alsjene. Denn
während die Bismarcksche Verfassung den organisatorischen Aufbau
der Reichsgewalt nach einem künstlichen Grundrisse durchgeführt
habe, der in der Geschichte der Staatenwelt ohne Vorbild ge-
1 Die Abhandlung ist Ende Dezember 1919 abgeschlossen worden. Die
seither erschienene Literatur und die inzwischen veröffentlichten Gesetze
und Gesetzentwürfe konnten nur teilweise in den Anmerkungen noch
berücksichtigt werden.