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der dritten Lesung im Plenum, der Entwurf möge an der frag-
lichen Stelle sachlich verbessert .sein; in der Klarheit sei: er es
jedenfalls nicht. Der Abgeordnete QUARCK erwiderte ihm freilich,
es gehöre kein starkes juristisches Unterscheidungsvermögen dazu,
sondern es genüge eine „einfache Lektüre“ der fraglichen Artikel,
um sich über die Konstruktion der Sache hinreichend zu unter-
riehten?. Ich für meinen Teil muß indes gestehen, daß ich die Ar-
tikel 72—76 sehr viel mehr als einmal habe durchlesen müssen,
um mich in ihnen zurechtzufinden. Ich bin noch heute nicht sicher,
daß mir das in jedem Punkte gelungen ist. Ja ich habe die Materie,
je tiefer ich in sie eindrang, um so verwickelter gefunden, und
ich weiß nicht, ob das nur an einem Mangel meines „juristischen
Unterscheidungsvermögens“ liegt. Mag dem aber sein, wie ihm
wolle, jedenfalls verläuft der Weg der Reichsgesetzgebung, wie
ihn die neue Verfassung vorzeichnet, in einer von den uns gewohnten
Verhältnissen so abweichenden Weise, daß es sich schon deshalb
verlohnt, ihm eine eingehende Betrachtung zu widmen.
Der Kreis der Fragen, die hierbei zu behandeln sind, bedarf
genauerer Umgrenzung.
Ich beabsichtige nur von dem Wege der Reichsgesetzgebung,
d. h. von dem Verfahren zu sprechen, vermöge dessen nach dem
Willen der Verfassung Reichsgesetze zustande kommen sollen.
Ich handle nicht von dem Gegenstande der Reichsgesetzgebung.
Es scheidet also aus erstlich die sachliche Zuständigkeit des Reichs
zur Gesetzgebung im Gegensatze zu der Gesetzgebungskompetenz,
die den Einzelstaaten, den „Ländern“, verblieben ist. Es ist aber
zweitens auch nicht die Rede von dem „Vorbehalte des Gesetzes“,
d. h. von der Bestimmung der Angelegenheiten, die im Wege
der Gesetzgebung geregelt werden müssen, im Unterschiede zu
2 Sitzung der Nationalversammlung vom 7. Juli 1919, Sten. B. S. 1355
(Preuss), S. 1357 (Quarck). In der kleinen Schrift: Der Geist der neuen
Reichsverfassung (Berlin 1919) hat QuArck seine Behauptung wiederholt,
vgl. S. 17.