Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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unsicher sein. Es ist selbstverständlich, daß die Urheber der Ver- 
fassung bei der Regelung des Gesetzgebungsprozesses, namentlich 
bei der Verteilung der entsprechenden Kompetenzen, von einer 
ganz bestimmten Schätzung der in unserem staatlichen Organismus 
vorhandenen Kräfte ausgegangen sind. Allein man kann jetzt, wo 
so vieles in Neu- und Umbildung begriffen ist, noch keineswegs 
sagen, ob sie jene Kräfte richtig beurteilt haben. Und soweit es 
der Fall sein sollte, können sich die Verhältnisse doch unter Um- 
ständen schon in naher Zukunft verschieben. Welche Rolle z. B 
das Einspruchsrecht des Reichsrats spielen wird, bängt natürlic 
ganz von der Frage ab, ob der Reichsrat überhaupt ein größere 
Maß von politischem Einfluß gewinnen wird, — eine Frage, dere 
Beantwortung ihrerseits wieder von sehr vielen unsicheren Fak 
toren, namentlich von der Art der Zusammensetzung des Reichs 
rats, von der Bildung der „Länder“, von der Stellung Preußen 
ım Reiche abhängig ist. Die politische Autorität, die sich der Reichs 
präsident verschaffen wird, muß einen bedeutenden Einfluß auf 
den ihm zugedachten Anteil an der Reichsgesetzgebung ausüben. 
Die gesetzgeberische Tätigkeit des Reichstags wird sehr wesentlich 
durch die Entwickelung bestimmt werden, die das Leben und die 
Organisation der politischen Parteien und der Fraktionen erfahren 
wird. Wie der Reichswirtschaftsrat, in dem die Verfassung ein 
seltsames Gemisch von „sozialem Selbstverwaltungskörper“* und 
erster Kammer hergestellt hat, auf den Gang der Gesetzgebung 
einwirken wird, liegt vorläufig noch völlig im Dunkeln. Nach 
alledem wird eine Behandlung unseres Themas wahrscheinlich 
schon nach einigen Jahren sehr viel lebendiger und farbenreicher 
sein, als sie es heute zu sein vermag. Das, was eine staatsrecht- 
liche Betrachtung erst wahrhaft reizvoll macht, die Beobachtung 
des Verfassungsrechts unter Gesichtspunkten politischer Dynamik, 
das muß zur Zeit notwendigerweise zu kurz kommen. Ich muß 
also den Leser bitten, fürs erste mit einer ganz schlichten und 
anspruchslosen Schilderung vorlieb zu nehmen, die nichts anderes
	        
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