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Eine solche Maßnahme bedeutet unzweifelhaft eine Aenderung
der Verfassung, ist also unzulässig, wenn sie nicht in der Form
der Verfassungsänderung geschieht. Es geht also nicht an, daß
ein einfaches Gesetz bestimmt, es genüge, wenn ein Gesetz über
gewisse Angelegenheiten nur von einem Ausschusse, statt vom
Plenum des Reichstags, beschlossen werde, oder es sollten gewisse
Gesetze ohne Wahrung der für einen Einspruch des Reichsrats
oder für die Anrufung des Volks vorgesehenen Fristen verkündet
werden.
Hiernach steht es nicht ganz außer Zweifel, ob das RG. über
eine „vereinfachte Form der Gesetzgebung“ für die
Zwecke der Uebergangswirtschaft vom 17. April 1919 (RGBl.
S. 394) nach dem Erlasse der Reichsverfassung vom 11. August 1919
noch anwendbar ist!*. Nach $ 1 dieses Gesetzes kann nämlich
während der Dauer der Nationalversammlung die Reichsregierung
mit Zustimmung des Staatenausschusses und eines von der National-
versammlung gewählten Ausschusses von 28 Mitgliedern diejenigen
„gesetzlichen Maßnahmen“ anordnen, welche sich zur Regelung
des Uebergangs von der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft
als notwendig und dringend erweisen. Die Anordnungen sind der
Nationalversammlung alsbald zur Kenntnis zu bringen und auf ihr
Verlangen aufzuheben!?. Von der Ermächtigung ist nicht nur vor,
12 Nach RV. Art. 178, Abs. 2 sind mit Ausnahme der bisherigen Reichs-
verfassung und der Notverfassung vom 10. Februar 1919 alle Reichsgesetze
in Kraft geblieben, denen die neue Reichsverfassung nicht „entgegensteht“.
d.h. sie gelten weiter, wenn sie einen Inhalt haben, der nach der jetzigen
Reichsverfassung den Inhalt eines einfachen Reichsgesetzes bilden könnte.
13 Das Gesetz bildet ein Analogon zu dem berühmten, besser berüchtig-
ten Ermächtigungsgesetze vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327), das während
des Kriegs eine so große Rolle gespielt hat. Die hier dem Bundesrate
erteilte Ermächtigung zur Anordnung gesetzlicher Maßnahmen von wirt-
schaftlichem Inhalt betrachtet man — ob mit Recht, .bleibe dahingestellt —
als durch das Uebergangsgesetz vom :4. März 1919 (RGBl. S. 285) aufge-
hoben. Vgl. Reichsjustizminister LANDSBERG, Sitzung der Nationalvers.
v. 27. Februar 1919, Sten. B. S. 345; v. 1. März 1919, Sten. B. S. 442.