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wenn man auch diesen anderen ein Initiativrecht zuschreibt. Ini-
tiativrecht im Sinne der Reichsverfassung wäre also das Recht,
entweder unmittelbar beim Reichstage eine Gesetzesvorlage einzu-
bringen, oder die Reichsregierung zur Beförderung eines Entwurfs
an den Reichstag zu veranlassen. Das erste kann man als un-
mittelbare, das zweiteals mittelbare Initiative bezeichnen.
In diesem Sinne gibt es nach der Verfassung ein fünffaches
Initiativrecht.
1. Zunächst das Recht der Reichstagsmitglieder
(Art. 68). Der Reichstag ais-seleher hat, anders als nach der
bisherigen Reichsverfassung, ein Initiativrecht nicht. Denn es gibt
kein Reichsorgan, dem gegenüber er ein solches Recht geltend
machen könnte®. Der Reichstag kann natürlich durch eine
Entschließung (Resolution) die Reichsregierung auffordern, ihm
eine Gesetzesvorlage zu machen ®*; aber das ist keine Initiative
im Rechtssinne2. In welcher Weise die Vorlagen „aus der
Mitte des Reichstags“ eingebracht werden, hat die Verfassung nicht
bestimmt. Das zu regeln, ist die Sache der Geschäftsordnung (Art. 26).
Es ist nicht an dem, daß jeder einzelne Abgeordnete, jede Frak-
tion, jeder Ausschuß schon kraft der Verfassung das Recht be-
säße, dem Plenum des Reichstags Gesetzanträge vorzulegen ?”. Die
Bestimmung der bisher geltenden Geschäftsordnung, wonach sich
mindestens 15 Mitglieder zusammenfinden müssen, um eine Gesetz-
vorlage einzubringen ($ 22), widerstreitet der Verfassung nicht;
25 Unrichtig STIER-SoMLo, Die Verfassung des Deutschen Reichs (Bonn
1919) S.153. — SAnGer, Die Verfassung des Deutschen Reichs (1920), S. 99.
Die zutreffende Ansicht bei PoertzscH, Handausgabe der Reichsverfassung
(Berlin 1919), S. 83.
25» Vgl. etwa den Antrag BAuM und Gen. auf Vorlegung eines Gesetz-
entwurfs über die Reglementierung der Prostitution (Drucks. Nr. 1324).
36 (1ESE, Die Verfassung des Deutschen Reiches (Berlin 1919), S. 209. —
Die Formulierung $. 208 ist mißverständlich.
”? So STIER-SOMLO a. a. O. S. 153, — GIESE a. a. O. 8. 209. Wie im
Text Portzsca a. a. 0. S. 88.