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5. Die Initiative bei der Gesetzgebung kann endlich auch
vom Volke ausgehen. Nach Art. 73, Abs. 3 der Verfassung
kann ein Zehntel — das soll natürlich heißen: mindestens ein
Zehntel — der Stimmberechtigten das „Begehren nach Vorlegung
eines Gesetzentwurfs“ stellen. Die Klausel ist sehr mangelhaft
redigiert worden und daher durchaus mißverständlich. Die Initianten
„begehren“ in Wahrheit nicht die, Vorlegung“ eines Gesetzentwurf,
sondern sie müssen ihn nach der ausdrücklichen Vorschrift der Ver-
fassung selbst vorlegen. Weder die Regierung, noch der Reichs-
tag entspricht einem Begehren nach „Vorlegung“ eines Entwurfs.
Die Regierung „unterbreitet“ vielmehr dem Reichstage den Entwurf
der Initianten, und der Reichstag beschließt, wenn er einverstanden
ist, keinen Entwurf, sondern ein Gesetz (Art. 68, Abs. 2). Denn das
vom Reichstage, dem Begehren gemäß, „angenommene“ Gesetz ist
nicht ein Entwurf, der unter allen Umständen dem Volke zur
Entschließung vorgelegt werden müßte, — wie solches nach auslän-
dischem, namentlich nach schweizerischem Rechte fast immer
notwendig ist. Vielmehr findet, wenn der Reichstag den „be-
gehrten® — richtiger: den von den Initianten vorgelegten — Ent-
wurf unverändert annimmt, eine Volksabstimmung nicht statt.
Allerdings ist ein „Volksentscheid“ notwendig, wenn der Reichs-
tag den vorgelegten Gesetzentwurf mit Aenderungen annimmt.
Aber auch in diesem Falle enthält der Beschluß des Reichstags
keinen Gesetzentwurf, sondern ein Gesetz, dem nur möglicherweise
durch den Ausgang der Volksabstimmung versagt wird, in Kraft
zu treten. Das Volksbegehren ist also eine ganz echte Initiative
gegenüber dem Reichsorgan, dem der Gesetzesbeschluß zukommt.
1919, Sten. B. S. 2187. Der Verfassungsausschuß hatte den Reichswirt-
schaftsrat in der fraglichen Beziehung dem Reichsrate gleichgestellt
(Art. 162; Drucks. der Nationalvers. Nr. 391). Das Plenum hat in der
dritten Lesung die jetzige Fassung beschlossen; Drucks. Nr. 680, Z. 13,
Sten. B. 8. 2190.