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Gesetzesbeschlusses: den Reichstag und das Volk, genauer
die Gesamtheit der stimmberechtigten Reichsbürger. Das regel-
mäßige Organ der „Sanktion“ ist der Reichstag. Art. 68, Abs. 2
der Verfassung sagt: „Die Reichsgesetze werden vom Reichstag
beschlossen.“ Das Volk als unmittelbarer Gesetzgeber steht erst
in zweiter Linie. Denn ein obligatorisches Referendum im Sinne
des schweizerischen Staatsrechts, d. h. ein Referendum, das bei
allen Gesetzen oder bei Gesetzen bestimmten Inhalts stattfinden
muß, hat die Reichsverfassung nicht eingeführt. Sie nennt die
Volksabstimmung ganz zutreffend „Volksentscheid“ In
der Tat wird das Volk zur Abstimmung über ein Gesetz immer
nur dann aufgerufen, wenn es sich darum handelt, zwischen zwei
Andern, die sich über ein Gesetz nicht einig werden können, die Ent-
scheidung abzugeben. Das ist freilich für nicht weniger als fünf
Fälle vorgesehen, die sich wieder in Unterfälle zerlegen lassen:
bei Differenzen zwischen dem Reichspräsidenten und deın Reichs-
tage (Art. 73, Abs. 1), beim Einspruche des Reichsrats gegen Ge-
setzesbeschlüsse des Reichstags (Art. 74, Abs. 3; Art. 76, Abs. 2),
bei mangelnder Zustimmung des Reichsrats zu einer vom Reichs-
tage vorgenommenen Etatserhöhung (Art. 85, Abs. 5), bei Unnach-
giebigkeit des Reichstags gegenüber einem Volksbegehren (Art.73,
Abs. 3), endlich beim fakultativen Referendum (Art. 73, Abs. 2).
Auch dieser letzte Fall gehört hierhin. Denn er bedeutet die
Entscheidung des Volks über einen Einspruch, den ein Bruch-
teil der Stimmberechtigten gegen einen Gesetzesbeschluß des
Reichstags erhoben hat.
Gleichwohl ist die Stellung des Volkes bei der Fällung des
Volksentscheids nicht überall dieselbe. Gesetzgeber, d. h. Erklärer
des Gesetzesbeschlusses, ist das Volk nur dann, wenn es sich auf
Volksbegehren für einen vom Reichstage abgelehnten oder abge-
änderten Gesetzentwurf entscheidet (Art. 73, Abs. 3), oder wenn
es auf Einspruch des Reichsrats ein Gesetz’ in einer vom Reichs-
rate verlangten, vom Reichstage abgelehnten Fassung annimmt
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