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für die Verfassungsänderung aussprechen. Die Stimmbetseiligung
muß folglich hier eine noch viel größere sein als die, die im Art. 75
gefordert wird ®.
Die Entscheidung über einen Gesetzentwurf hat dem Grund-
satze nach der Reichstag zu fällen. In aller Regel wird auch
der Weg der Reichsgesetzgebung in der einfachen Weise ver-
laufen, daß der Reichstag eine Vorlage der Reichsregierung mit
oder ohne Aenderungen zum Gesetze erhebt, daß sich niemand
dagegen rührt, daß der Reichspräsident das Gesetz ausfertigt und
es verkündigt.
Aber die Verfassung läßt es geschehen, daß gelegentlich der
Gesetzesbeschluß des Reichstags mindestens vorläufig gehindert
wird, in Gesetzeskraft überzugehen, daß er unter Umständen völlig
ausgeschaltet oder durch den Beschluß eines andern Organs ersetzt
wird. Dabei ist möglich, daß der Gesetzesbeschluß des Reichs-
tags in seiner Wirkung gehemmt wird durch eine Anfechtung
(s. Nr. 1, 2, 4). Oder es ist denkbar, daß der Reichstagsbe-
schluß auch ohne vorhergehende Beanstandung durch den wider-
sprechenden Beschluß eines übergeordneten Organs aus der Welt
geschafft wird (s. Nr. 3).
Vier Fälle sind zu unterscheiden.
1. Die Verfassung rechnet damit, daß der Reichspräsi-
dent Bedenken trägt, ein vom Reichstage beschlossenes Gesetz zu
verkündigen. Sie gibt ihm zwar kein absolutes, aber ein suspen-
sives Veto. Genauer: der Reichspräsident Rat das Recht, das Gesetz
zum Volksentscheide zu verstellen (Art. 73, Abs. 1). Das ganze
Gesetz; einzelne Teile herauszugreifen und der Volksabstimmung zu
unterbreiten, ist ihm nicht gestattet. Die Verfassung läßt dem
Präsidenten einen Monat Zeit, sich den Schritt zu überlegen.
6° Ueber die beiden Erschwerungen, die die Nationalversammlung in
der dritten Lesung eingeführt hat, vgl. die Verhandlungen vom 30. und
31. Juli 1919, Sten. B. S. 2114 £., 2156 ff. Die Beschlüsse s. S. 2158.