Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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für die Verfassungsänderung aussprechen. Die Stimmbetseiligung 
muß folglich hier eine noch viel größere sein als die, die im Art. 75 
gefordert wird ®. 
Die Entscheidung über einen Gesetzentwurf hat dem Grund- 
satze nach der Reichstag zu fällen. In aller Regel wird auch 
der Weg der Reichsgesetzgebung in der einfachen Weise ver- 
laufen, daß der Reichstag eine Vorlage der Reichsregierung mit 
oder ohne Aenderungen zum Gesetze erhebt, daß sich niemand 
dagegen rührt, daß der Reichspräsident das Gesetz ausfertigt und 
es verkündigt. 
Aber die Verfassung läßt es geschehen, daß gelegentlich der 
Gesetzesbeschluß des Reichstags mindestens vorläufig gehindert 
wird, in Gesetzeskraft überzugehen, daß er unter Umständen völlig 
ausgeschaltet oder durch den Beschluß eines andern Organs ersetzt 
wird. Dabei ist möglich, daß der Gesetzesbeschluß des Reichs- 
tags in seiner Wirkung gehemmt wird durch eine Anfechtung 
(s. Nr. 1, 2, 4). Oder es ist denkbar, daß der Reichstagsbe- 
schluß auch ohne vorhergehende Beanstandung durch den wider- 
sprechenden Beschluß eines übergeordneten Organs aus der Welt 
geschafft wird (s. Nr. 3). 
Vier Fälle sind zu unterscheiden. 
1. Die Verfassung rechnet damit, daß der Reichspräsi- 
dent Bedenken trägt, ein vom Reichstage beschlossenes Gesetz zu 
verkündigen. Sie gibt ihm zwar kein absolutes, aber ein suspen- 
sives Veto. Genauer: der Reichspräsident Rat das Recht, das Gesetz 
zum Volksentscheide zu verstellen (Art. 73, Abs. 1). Das ganze 
Gesetz; einzelne Teile herauszugreifen und der Volksabstimmung zu 
unterbreiten, ist ihm nicht gestattet. Die Verfassung läßt dem 
Präsidenten einen Monat Zeit, sich den Schritt zu überlegen. 
6° Ueber die beiden Erschwerungen, die die Nationalversammlung in 
der dritten Lesung eingeführt hat, vgl. die Verhandlungen vom 30. und 
31. Juli 1919, Sten. B. S. 2114 £., 2156 ff. Die Beschlüsse s. S. 2158.
	        
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