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_4, Eine letzte Gefahr kann schließlich dem vom -Reichstage
beschlossenen Gesetze aus der Gegnerschaft des Reichsrats
erwachsen.
In strengem Gegensatze zum ehemaligen Bundesrate hat der
Reichsrat einen Anteil am Gesetzesbeschlusse nicht er-
halten. Es ist ihm grundsätzlich auch nicht ein Recht der Zu-
stimmung zum Erlasse von Reichsgesetzen gegeben worden ’®. Aber
es steht ihm nach der Verfassung ein Recht des Einspruchs
gegen die vom Reichstage beschlossenen Gesetze zu, eines Ein-
spruchs im Sinne eines suspensiven Veto. Die Verkündungsformel
der seitdem 11. August 1919 erlassenen Reichsgesetze ist geeignet,
den wahren Sachverhalt zu verdecken. Sie lautet regelmäßig:
„Die Nationalversammlung (der Reichstag) hat das folgende Gesetz
beschlossen, das nach Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet
wird.“ Das ist irreführend. Denn auch wenn, wie anzunehmen
ist, der Reichsrat zu diesen Gesetzen seine Zustimmung förmlich
erklärt hat, so hatte dies doch immer nur die Bedeutung eines
Verzichts auf die Geltendmachung des Einspruchsrechts. Daß
die „Zustimmung“ überhaupt in der Verkündungsformel erwähnt
wird, hat einen Sinn nur dann, wenn die Verkündung vor Ablauf
der Einspruchsfrist erfolgt. Der Reichspräsident muß sich in
diesem Falle vergewissert haben, ob ein Einspruch zu erwarten
ist; er teilt bei der Verkündung mit, daß er das getan, und
daß der Reichsrat der Verkündung kein Hindernis in den Weg
gelegt hat.
Nur an einer Stelle hat die Verfassung dem Reichsrate ein
Zustimmungsrecht in Bezug auf Gesetzesbeschlüsse des Reichstags
gegeben. Nach Art. 85, Abs. 4 „kann“ der Reichstag im Ent-
wurfe des Haushaltsplans keine Ausgabe erhöhen und keine Aus-
Das der Abg. Koca (Sitzg. der Nationalvers. v. 5. Juli 1919, Sten. B.
S. 1345) wiederholt von der „Zustimmung des Reichsrates“ spricht — der
Bericht druckt den Ausdruck noch dazu in fetten Lettern — ist schwer
begreiflich.