Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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diese Option für den Reichsrat niemals oder doch nur in solchen 
Fällen vornehmen, in denen es sich nach Ansicht der Reichs- 
regierung nicht,lohnt, den großen Apparat einer Volksabstimmung 
in Bewegung zu setzen. Ist der Gegenstand des Streits politisch 
bedeutsam, so wird unzweifelhaft die vom Reichstage abhängige 
Reichsregierung den Reichspräsidenten nötigen, durch Anrufung 
des Volks dem Votum des Parlamentes Nachdruck zu verschaffen, 
— es müßte denn der Reichspräsident einen Kabinettswechsel vor- 
nehmen. Beim Haushaltsgesetze wird er ohnehin auf jeden Fall 
den Volksentscheid anordnen, da er nicht wohl durch Gleichgültig- 
keit gegenüber dem Zwiespalte zwischen Reichsrat und Reichstag 
das Etatsgesetz zum Scheitern bringen kann. 
Eine seltsame Situation kann sich aus der Entschließungs- 
freiheit des Reichspräsidenten ergeben, wenn der Einspruch des 
Reichsrats gegen ein Gesetz erfolgt, das der Reichstag auf Grund 
eines Volksbegehrens angenommen hat. Legt hier der Reichs- 
rat Einspruch gegen den Reichstagsbeschluß ein, und unterläßt es 
der Reichspräsident, den Volksentscheid anzuordnen, so ist das 
Volksbegehren gescheitert; denn der Volksentscheid ist ja nur 
dann obligatorisch, wenn der Reichstag das’ Volksbegehren abge- 
lehnt oder mit Veränderungen zum Beschlusse erhoben hat (Art. 73, 
Abs. 3). Daraus ergibt sich: der Reichstag kann ein Volks- 
begehren, mit dem er nicht einverstanden ist, und von dem er 
weiß, daß es auch die Gegnerschaft des Reichsrats und des Reichs- 
präsidenten besitzt. am sichersten zu Falle bringen, wenn er das 
Begehren — annimmt! Denn dann wird Einspruch erfolgen, der 
Reichstag wird mit einfacher Mehrheit bei seinem ersten Beschlusse 
stehen bleiben, der Reichspräsident wird den Volksentscheid, den 
er anordnen „kann“, aber nicht anordnen muß, nicht herbeiführen ; 
halte das nicht für zwlässig. Aber es mag in der Tat gelegentlich ein 
„praktisches Bedürfnis“ dafür vorhanden sein, daß der Präsident seinen Ent- 
schluß, nicht zu verkünden, schon vor dem Ende der Frist kundgibt (s. den 
Fall unten S. 530). Nur würde das kein Verzicht sein, an den er ge- 
bunden wäre. 
 
	        
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