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Augenblicke durch Provokation auf die Entscheidung des Gesamt-
volkes zur Wehr setzen.
Wenn ein Gesetz infolge des Einspruchs des Reichsrats ge-
fallen ist, entweder weil sich Reichsrat und Reichstag über die
Ablehnung geeinigt haben, oder weil der Reichspräsident keine
Volksabstimmung angeordnet hat, oder weil die Volksabstimmung
gegen das Gesetz entschieden hat, so fragt sich, ob die Regierung
oder ein anderes Organ, das das Recht der Initiative besitzt, das ge-
scheiterte Gesetz von neuem einbringen darf®®. Die Frage ist ebenso
zu entscheiden wie die andere, ob und wann ein vom Reichstage
abgelehnter Gesetzentwurf zum andern Male bei ıhm
eingebracht werden kann. Die neue Reichsverfassung schweigt
darüber ebenso wie die bisherige. Man wird daraus schließen
müssen, daß sie das Initiativreeht nicht habe beschränken wollen.
Und so steht nichts im Wege, einen aus irgend einem Grunde ge-
scheiterten Gesetzentwurf dem Reichstage sogar in derselben
Sitzungsperiode von neuem vorzulegen®. Die in manchen Ver-
fassungen, wie z. B. in der preußischen (Art. 64, Abs. 2), ent-
halterie gegenteilige Bestimmung enthält keinen Grundsatz, der
sich von selbst verstünde.e Man kann also nicht annehmen, dab
ihn die Reichsverfassung stillschweigend anerkannt habe.
v1
Die Ausführungen des vorangehenden Abschnitts haben schon
gezeigt, daß sich die verschiedenen Mittel, die die Verfassung zur
Verfügung stellt, um einen Gesetzesbeschluß des Reichstags zu Falle
zu bringen, in eigenttimlicher Weise ergänzen und durchschlingen
können, daß unter Umständen, wenn das eine versagt, das andere als
® Die Frage wurde angeschnitten, aber nicht beantwortet vom Abg.
ABLASS in der 17. Sitzg. des, Verfassungsausschusses vom 28. März 1919,
Prot. S. 4.
9 Vgl. für das bisherige Recht PERELS, Das autonome Reichstagsrecht
S. 46 f. — DameItscH, Die Verfassung des Deutschen Reichs S. 173 f. und
die hier angeführte Aeußerung Bismarck».