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dafür haben? Man wird sagen: ist der Präsident ein Gegner des
Gesetzes, so kann er ja das Ergebnis des Einspruchs abwarten.
Denn entweder lehnt der Reichstag bei der nochmaligen Beschluß-
fassung das Gesetz ab; dann hat der Präsident erreicht, was er
will.e Oder der Reichstag nimmt das Gesetz mit einfacher Mehr-
heit zum zweiten Male an; dann braucht es der Präsident nicht
zu verkünden. Oder endlich die Annahme erfolgt mit Zweidrittel-
mehrheit; dann steht dem Präsidenten der Appell an das Volk
immer noch offen, er braucht sich also nicht vorzeitig mit dem
Odium einer Parteinahme gegen den Reichstag zu belasten. So
richtig das alles ist, so kann die politische Situation doch vielleicht
gelegentlich die Annahme rechtfertigen, das Volk werde bei
sofortigem Aufrufe eher willens sein, das Gesetz zu verwerfen,
als wenn es der Reichstag zum zweiten Male angenommen hat.
Vor allem kann der Entschluß des Präsidenten, den vorliegenden Ein-
spruch zu übertrumpfen, aus .dem Wunsche geboren werden, das
Gesetz zu retten. Er fürchtet, daß der Reichstag dem Ein-
spruche nachgibt; die Aeußerungen der Parteien oder die Be-
ratungen des Parlaments zeigen, daß der Einspruch im Begriffe
ist, zu siegen. Wenn der Präsident glaubt, daß die Stimmung des
Volkes für das Gesetz ist, so kann er dem Einspruche noch in
letzter Stunde in die Parade fahren. Man denke auch an den
Fall, daß der Einspruch bei oder nach Ablauf der Legislaturperiode
erhoben wird (s. oben S. 515 ff.) ; der Präsident kann dann allein noch
dureh Anordnung des Volksentscheids den Versuch machen, das
Gesetz rasch in den Hafen zu steuern. Die Frage ist nur, ob das
zulässig ist. Kann insbesondere die Einigung zwischen Reichsrat
und Reichstag durch das Dazwischentreten des Präsidenten hinter-
trieben werden? Ich glaube, daß man die Frage wegen der kate-
gorischen Fassung des Art. 73, Abs. 1 bejahen muß. Dabei
ist es gleichgültig, ob der Einspruch, den der Reichsrat bei der
% Ebenso PorrzscH S. 87.