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der Volksentscheid stattfinden ; hat der Einspruch Erfolg, weil der
Reichstag nunmehr den Entwurf ablehnt, so gilt dasselbe. Nach
dem oben (S. 526) aufgestellten Grundsatze würde folglich der Ein-
spruch unzulässig sein. Aber es ließe sich denken, daß der Ein-
spruch des Reichsrats genau dasselbe Ziel verfolgte wie das Volks-
begehren selbst, d. h. daß der Reichsrat den Reichstag bewegen
wollte, das Volksbegehren bei der nochmaligen Beschlußfassung un-
verändert anzunehmen. Ginge der Reichstag darauf ein, so brauchte
der Volksentscheid nicht stattzufinden, ja er dürfte gar nicht statt-
finden (Art. 73, Abs. 3 a. E.), und das wäre ein praktisch wert-
volles Ergebnis!®. Gleichwohl meine ich, daß die Verfassung
den Einspruch auch ın jenem Falle ausschließt. Sie betrachtet
den Volksentscheid als ein notwendiges Komplement des Volks-
begehrens. „Ein Volksentscheid“, sagt sie, „ist herbeizuführen“,
wenn eine Volksinitiative zustandekommt. Eine Ausnahme macht
sie freilich für den Fall unveränderter Annahme des Begehrens.
Aber darüber, ob dieser Fall eintritt, entscheidet die erste Schluß-
abstimmung des Reichstags. Aendert also der Reichstag den
„begehrten“ Entwurf ab, so muß sofort der Volksentscheid
herbeigeführt werden. Für ein Einspruchsverfahren bleibt dabei
kein Raum übrig.
vn.
Nachdem der Gesetzesbeschluß zustandegekommen ist, nähert
sich das Gesetzgebungsverfahren seinem Abschlusse. Es erhält
ihn durch die Ausfertigung und die Verkündung des
Gesetzes. Die neue Reichsverfassung, ebenso wie die alte, hat
Ausfertigung und Verkündung in die Hand eines besondern Reichs-
organs gelegt, das am Gesetzesbeschlusse nicht beteiligt ist. Daraus
ergibt sich, daß das Organ des Gesetzesbeschlusses — Reichstag
108 Ebenso wenn zwar der Einspruch als solcher keinen Erfolg hat,
aber der Reichstag aus eigener Entschließung bei der zweiten Beschluß-
fassung das Volksbegehren unverändert annimmt.