Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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hat die Frage ganz offen gelassen!”. So ist es gekommen, daß 
die Verfassung über sie völlig schweigt. Sie hat das richterliche 
Prüfungsrecht weder ausdrücklich anerkannt, noch ausdrücklich 
ausgeschlossen. In diesem Zusammenhange ist daher nur zu prü- 
fen, ob etwa aus dem Charakter der Gesetzesausferti- 
gung irgendein Schluß nach der einen oder andern Seite ge- 
zogen werden kann. 
Die Ausfertigung bedeutet die Ausstellung der Gesetzes- 
urkunde. Wer das Gesetz ausfertigt, der beurkundet, daß ein 
Gesetz bestimmten Inhalts von dem Organe oder den Organen 
beschlossen worden sei, die in der Urkunde genannt werden. 
Die Beurkundung hat also zunächst keinen andern Inhalt als die 
Feststellung einer Tatsache, eines Vorgangs. Nun sagt allerdings 
die Reichsverfassung in Art. 70, daß der Reichspräsident die 
„verfassungsmäßig zustandegekommenen“* Gesetze auszufertigen 
habe. Wenn der Präsident ein Gesetz ausfertigt, so stellt er also 
auch in Urkundsform fest, daß das Gesetz verfassungsmäßig, d. h. 
auf dem durch die Verfassung vorgeschriebenen Wege zustande- 
gekommen sei. Die Urkunde enthält mithin auch ein wertendes 
Urteil. Und ferner: da der Präsident nur die verfassungsmäßig 
zustandegekommenen Gesetze ausfertigen darf, so ist er nicht nur 
berechtigt, sondern auch verpflichtet, vor der Beurkundung zu 
prüfen, ob der verfassungsmäßige Weg der Gesetzgebung einge- 
halten worden ist. Durch die nach Art. 50 erforderliche Gegen- 
zeichnung der Ausfertigung übernimmt der Reichskanzler oder 
der zuständige Fachminister die Verantwortung dafür, daß jene 
Prüfung "stattgefunden hat. Aber es ist nirgends gesagt und ver- 
107 Vgl. Prot. der 39. Sitzung vom 6. Juni 1919, S.61ff. — Es ist 
ganz seltsam zu beobachten, wie sich im Verfassungsausschusse bei der 
Behandlung der Frage bürokratische Angst vor der Selbständigkeit der 
Gerichte und Sorge für die Unantastbarkeit parlamentarischer Beschlüsse 
selbst bei Männern begegneten, die nach Parteizugehörigkeit und allge- 
meiner politischer Stellung einen ganz andern Standpunkt hätten ein- 
nehmen müssen.
	        
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