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kündigung hat also spätestens nach Ablauf eines Monats zu er-
folgen. Aber sie braucht nicht früher zu geschehen; auch
nicht, wenn das Gesetz endgültig durch einen Volksentscheid fest-
gestellt worden ist. Aus der Bestimmung des Art. 70 ergibt sieh
andererseits, daß der Reichspräsident jedes Gesetz innerhalb Mo-
natsfrist verkünden kann, auch wenn das Ende einer Sitzungs-
oder Legislaturperiode in die Frist hineinfällt. Der alte Streit
über die Möglichkeit einer Gesetzesverkündigung nach Ablauf
einer Legislaturperiode ist damit für das Reichsstaatsrecht er-
ledigt.
Die allgemeine Regel des Art. 70 erleidet aber Ausnahmen.
An sich folgt aus Art. 70, daß der Reichspräsident jedes
„Gesetz“ sofort verkündigen darf. Da aber nach Art. 74,
Abs. 1 und 2 der Reichsrat gegen die vom Reichstage be-
schlossenen Gesetze binnen zwei Wochen Einspruch erheben kann,
so darf der Präsident diese Gesetze frühestens vierzehn Tage
nach dem Reichstagsbeschlusse verkündigen, es sei denn, daß er
sich die Gewißheit verschafft hat, daß der Reichsrat von seinem
Rechte keinen Gebrauch machen will. Ebenso muß er, wenn der
Reichstag entgegen dem Einspruche des Reichsrats eine Verfas-
sungsänderung beschlossen hat, mit der Verkündigung zwei Wo-
chen warten, weil der Reichsrat innerhalb dieser Frist einen
Volksentscheid verlangen kann (Art. 76, Abs. 2).
In mehreren Fällen darf die Verkündigung des Gesetzes
vorläufig nicht stattfinden; sie muß „ausgesetzt“ werden.
a) Zunächst muß eine Aussetzung „um zwei Monate“'!? er-
folgen, wenn es ein Drittel des Reichstags verlangt; nur bei
einer Dringlichkeitserklärung ist die Aussetzung nicht nötig. Die
Vorschrift bezieht sich, ihrem Wortlaute zuwider, nicht auf alle,
sondern nur auf die vom Reichstage beschlossenen Reichsgesetze.
Denn sie steht im Zusammenhange mit dem in Art. 73, Abs. 2
vorgesehenen fakultativen Referendum. Das Verlangen nach Aus-
118 Weber die Auslegung dieser Worte s. oben S. 504, Anm. 62.