— 543 —
Entscheidung der Frage, ob eine Aenderung der Verfassung nur
durch Aenderung ihres Textes, also durch ein Gesetz bewirkt
werden kann, das in: ausdrücklicher Formulierung die Bestim-
mungen der Verfassungsurkunde beseitigt oder durch neue Be-
stimmungen ersetzt oder ergänzt. Dem Bedürfnisse nach Gewißheit
über den äußeren Bestand des Verfassungsrechts entspräche es,
wenn Aenderungen der Verfassung nur in dieser Form vorge-
nommen würden. Allein aus dem Wortlaute der Verfassung läßt
sich eine entsprechende Forderung ebensowenig entnehmen, wie
man sie aus dem ungefähr gleichen Wortlaute des Art. 78 der
bisherigen Verfassung ableiten konnte. Nun hat es unter der
Herrschaft des früheren Rechts eine fast fünfzigjährige, niemals
angefochtene Praxis als zulässig betrachtet, die Verfassung auch
„stillschweigend® durch „einfache“ Gesetze zu ändern, die sich
mit dem Inhalte der Verfassung in Widerspruch setzten, sofern
nur solche Gesetze unter Berücksichtigung der für Verfassungs-
änderungen vorgeschriebenen Formen erlassen wurden!!”. Berück-
sichtigt man diese Tatsache, so wird anzunehmen sein, daß die
Verfassung von 1919 dieses Verfahren jedenfalls nicht als unzu-
lässig habe bezeichnen wollen!"®.
„Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert
werden.“ Eine Verfassungsänderung erfolgt also auf demselben
Wege, der für alle übrigen Gesetze von der Verfassung vorge-
schrieben worden ist. Dieselben Organe, denen das Recht der
Initiative in bezug auf einfache Gesetze zusteht, haben das
Recht, den Erlaß verfassungsändernder Gesetze zu beantragen: die
Reichstagsmitglieder wie die Reichsregierung, der Reichsrat wie
der Reichswirtschaftsrat, letzterer freilich nur, soweit ‘es sich um
sozial- oder wirtschaftspolitische Bestimmungen der Verfassung
handelt; daß diese eine „grundlegende Bedeutung“ besitzen, ergibt
sich aus ihrer Aufnahme in die Verfassung von selbst. Ebenso
17 Vgl. MEYER-AnSCHUTZ a. a. O. S. 689 f. mit Literaturangaben.
118 Ebenso POETZSCH 8. 92.