Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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Entscheidung der Frage, ob eine Aenderung der Verfassung nur 
durch Aenderung ihres Textes, also durch ein Gesetz bewirkt 
werden kann, das in: ausdrücklicher Formulierung die Bestim- 
mungen der Verfassungsurkunde beseitigt oder durch neue Be- 
stimmungen ersetzt oder ergänzt. Dem Bedürfnisse nach Gewißheit 
über den äußeren Bestand des Verfassungsrechts entspräche es, 
wenn Aenderungen der Verfassung nur in dieser Form vorge- 
nommen würden. Allein aus dem Wortlaute der Verfassung läßt 
sich eine entsprechende Forderung ebensowenig entnehmen, wie 
man sie aus dem ungefähr gleichen Wortlaute des Art. 78 der 
bisherigen Verfassung ableiten konnte. Nun hat es unter der 
Herrschaft des früheren Rechts eine fast fünfzigjährige, niemals 
angefochtene Praxis als zulässig betrachtet, die Verfassung auch 
„stillschweigend® durch „einfache“ Gesetze zu ändern, die sich 
mit dem Inhalte der Verfassung in Widerspruch setzten, sofern 
nur solche Gesetze unter Berücksichtigung der für Verfassungs- 
änderungen vorgeschriebenen Formen erlassen wurden!!”. Berück- 
sichtigt man diese Tatsache, so wird anzunehmen sein, daß die 
Verfassung von 1919 dieses Verfahren jedenfalls nicht als unzu- 
lässig habe bezeichnen wollen!"®. 
„Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert 
werden.“ Eine Verfassungsänderung erfolgt also auf demselben 
Wege, der für alle übrigen Gesetze von der Verfassung vorge- 
schrieben worden ist. Dieselben Organe, denen das Recht der 
Initiative in bezug auf einfache Gesetze zusteht, haben das 
Recht, den Erlaß verfassungsändernder Gesetze zu beantragen: die 
Reichstagsmitglieder wie die Reichsregierung, der Reichsrat wie 
der Reichswirtschaftsrat, letzterer freilich nur, soweit ‘es sich um 
sozial- oder wirtschaftspolitische Bestimmungen der Verfassung 
handelt; daß diese eine „grundlegende Bedeutung“ besitzen, ergibt 
sich aus ihrer Aufnahme in die Verfassung von selbst. Ebenso 
17 Vgl. MEYER-AnSCHUTZ a. a. O. S. 689 f. mit Literaturangaben. 
118 Ebenso POETZSCH 8. 92.
	        
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